Kommentar Deutschlands Afrikapolitik: Bemerkenswert taktlos

Deutschland betreibt ein unwürdiges Spiel mit Opfern der früheren deutschen Afrikapolitik. Passend dazu fällt Minister Müller durch Respektlosigkeit auf.

Bei Herero-Nama-Protest, zwei Frauen mit Schildern "What have we done?" und "Repatriation without an official apology?"

Herero und Nama fordern eine Entschuldigung für Deutschlands Völkermord in Namibia Foto: dpa

So viel Afrika ist selten in der deutschen Politik. Bundesentwicklungsminister Müller befindet sich auf einer Marathonreise durch sieben afrikanische Länder, und in wenigen Tagen bricht die Bundeskanzlerin nach Westafrika auf. Es geht, wie immer im frühen 21. Jahrhundert, um Wirtschaftspotenzial und Fluchtursachenbekämpfung und um die Kunst, aus dem einen das andere zu machen.

Gleichzeitig betreibt Deutschland wieder einmal ein unwürdiges Schauspiel mit den Opfern der deutschen Afrikapolitik des frühen 20. Jahrhunderts. Auf einem kirchlichen Gedenkakt in Berlin, ohne Teilnahme hochrangiger Vertreter der Bundesrepublik, werden am Mittwoch Gebeine toter Angehöriger der Volksgruppe der Herero und der Nama an geladene Vertreter Namibias übergeben. Vertreter der Herero und der Nama werden draußen demonstrieren. Kritiker fragen zu Recht, warum es keinen Staatsakt gibt, keine offizielle Entschuldigung für den Völkermord an den Herero und Nama im einstigen Deutsch-Südwestafrika und keine Bereitschaft zur Entschädigung gemäß der in New York anhängigen Klage gegen Deutschland – jenseits der Zusage von Entwicklungshilfe.

Man könnte meinen, die Bundesrepublik sähe die Rückgabe von Knochen als Übernahme von Verantwortung. Mit bemerkenswert taktlosem Timing betont derweil der Entwicklungsminister bei seinem Besuch in Äthiopien, wie bei jedem seiner Besuche dort, dass er sich an der Wiege der Menschheit befinde, weil in Äthiopien die Knochen des ältesten ausgegrabenen Menschen „Lucy“ gefunden wurden, 3,5 Millionen Jahre alt. „Wir müssen uns auch unserer Ursprünge bewusst werden und deshalb bin ich auf einer Afrikareise“, sagt er in einem Deutschlandfunk-Interview.

In solchen Sätzen, wie auch immer sie tatsächlich gemeint sein könnten, schimmert das koloniale Bild eines Afrika als zurückgebliebenes Urgestein der Welt durch, das erst noch mit fremder Hilfe in die Gegenwart zu befördern ist. Nicht anders zu interpretieren ist ja auch das ewige Gerede von Afrika als Kontinent der „Chancen“. Die Knochen gehören den Afrikanern. Das Fleisch den Deutschen.

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Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

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