Kommentar EZB: Jetzt heulen die Neoliberalen

Der Personalwechsel bei der EZB macht deutlich: Chefvolkswirt Jürgen Stark ist ein typisches Beispiel für das Versagen, die Realität zur Kenntnis zu nehmen.

Und schon wieder tritt ein Konservativer zurück, weil er keine Lust mehr hat: Diesmal ist es EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark, der sein Amt so schnell wie möglich loswerden möchte.

Das erinnert an Ex-Bundespräsident Horst Köhler, der auch einfach hinschmiss. Oder an Hessens einstigen Ministerpräsidenten Roland Koch, an Ex-Bundesbankchef Axel Weber sowie an CDU-Steuerstar Friedrich Merz. Sie alle haben die Politik frustriert verlassen, weil ihre neoliberalen Positionen nicht großflächig durchzusetzen waren.

Dabei sind die Herren nicht etwa an der Opposition gescheitert, sondern an sich selbst. Sie alle hatten formal sehr viel Macht - und wussten mit dieser Macht nichts anzufangen. Man könnte auch sagen, dass sich die Realität ihrer Führung verweigert hat. Die neoliberale Ideologie passte nicht mehr zur Wirklichkeit.

EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark ist ein typisches Beispiel für dieses Versagen, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Dogmatisch beharrte er darauf, dass die Zentralbank allein für die Geldwertstabilität zuständig sein solle. Ansonsten fiel ihm zur akuten Eurokrise nur noch ein, dass die Staaten doch bitte sparen sollen. Dabei zeigt sich derzeit in Griechenland, wohin drastische Kürzungen führen: Die Wirtschaft stürzt ab, sodass die Defizite nicht kleiner werden.

Doch jenseits seiner Sparideologie hatte Stark nichts zu bieten. Konstruktive Vorschläge fehlten. Stattdessen wusste er nur, was er nicht wollte: keine Rettungsschirme und keine Eurobonds. Vor allem aber sollte die EZB keine Staatsanleihen aufkaufen. Wären die anderen Euroländer dieser Agenda des Neinsagens gefolgt, wäre der Euro längst auseinandergeflogen.

Ein Eurocrash wäre jedoch teurer als jede EZB-Intervention - und würde allein Deutschland Hunderte von Milliarden kosten. Also wurde Stark im EZB-Rat einfach ignoriert, was er nun pampig mit seinem Abgang quittiert. Wer hätte gedacht, dass die neoliberale Ära derart weinerlich endet.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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