Kommentar Eurokrise: Abschied aus der Parallelwelt

Hierzulande herrscht angesichts der Eurokrise eine schwer erträgliche Gelassenheit. Die Lethargie der Politik ist fahrlässig.

Bislang ist die Eurokrise in Deutschland ein theoretisches Problem. Während der Rest Europas unter brutalen Sparprogrammen und Rekordarbeitslosigkeit ächzt und die ganze Welt um die Zukunft der Eurozone bangt, herrscht hierzulande eine schwer erträgliche Gelassenheit: Die Wirtschaft floriert, die Steuern sprudeln, die Zinsen sinken. In einer solchen Situation fällt es leicht, nicht die Krise als das eigentliche Problem zu sehen, sondern die vermeintlich teuren Rettungsmaßnahmen.

Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Nachricht, dass sich jetzt auch in Deutschland ein Ende des Booms abzeichnet. Je schneller die Krise real zu spüren ist, desto eher wird sich die Politik in Berlin aus ihrer Scheinwelt verabschieden müssen. Die Fakten sind eindeutig: Wenn überall gleichzeitig massiv gespart wird, bricht die Wirtschaft zusammen.

Mit der Folge, dass die Schulden statt zu sinken weiter wachsen. Und ein Land, das wie Deutschland zum Großteil vom Export lebt, kann nicht ungeschoren davonkommen, wenn die Wirtschaft seiner Handelspartner zusammenbricht. Erstaunlich ist weniger, dass die Krise jetzt auch Deutschland erreicht, sondern vielmehr, dass es so lange gedauert hat.

Wirksame Gegenmaßnahmen liegen auf dem Tisch: Gegen die überhöhten Zinsen, die Spanien und Italien für ihre Staatsanleihen ohne reale Grundlage zahlen müssen und die alle Sparanstrengungen zunichte machen, hilft nur eine unbegrenzte Garantie durch die Europäische Zentralbank oder einen erheblich ausgeweiteten Rettungsfonds – verbunden mit einer teilweisen Vergemeinschaftung der Schulden, etwa über einen gemeinsamen Tilgungsfonds, wie ihn auch der Sachverständigenrat der Bundesregierung fordert. Doch diese Vorschläge werden von Deutschland weiterhin blockiert – mit Verweis auf die Risiken und Kosten, die damit verbunden sind.

Zu den weitaus schlimmeren Auswirkungen, die ein Auseinanderbrechen der Eurozone mit Sicherheit zur Folge hätte, schweigt Berlin. Dass viele Wähler diese Zusammenhänge nicht verstehen, ist nachvollziehbar. Doch dass auch die Politik sich der Realität verweigert, ist grob fahrlässig.

Die schlechter werdenden Unternehmenszahlen könnten eine Warnung sein – doch möglicherweise kommt sie zu spät und zu schwach, um Deutschland aus der Lethargie zu reißen.

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Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.

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