Kommentar Europäische Schuldenkrise: Auch Griechenland muss lernen

Hätten andere europäische Sozialstaaten eine Steuermoral wie Griechenland, wären sie auch pleite. Das Land braucht Modernisierung.

Die Akropolis in bunten Farben auf einem Bus

Auch im Tourismus steckt eine Chance – Sightseeing-Bus in Athen. Foto: ap

Wahrscheinlich hatten viele in Brüssel gehofft, Alexis Tsipras nicht mehr wiederzusehen. Aber nun ist der griechische Ministerpräsident wieder präsent – und zwar stärker als je zuvor. Denn er hat nicht nur sein Hauruck-Referendum gegen die Sparauflagen klar gewonnen, sondern auch das Mandat der Opposition erhalten, eine Einigung mit den Gläubigern herbeizuführen – damit Griechenland im Euro bleiben kann.

Das ist eine große Chance für beide Seiten, auch wenn das Euro-Finanzministertreffen am Dienstag erst einmal im Eklat endete. Sie sollten sie nutzen, denn ein verarmtes Land im Chaos schadet allen – zuerst den Griechen selbst, aber auch den übrigen Europäern, die den Wert von Stabilität an der Südostflanke der EU nicht unterschätzen sollten.

Neue Verhandlungen über die Griechenlandrettung finden unter erschwerten Bedingungen statt. Zunächst müssen die vielen persönlichen Verletztheiten überwunden werden, die das Aneinandervorbeireden der vergangenen Wochen und Monate gebracht hatte.

Zudem herrscht in Griechenland Ausnahmezustand, weil das Land am Tropf der Europäischen Zentralbank (EZB) hängt. Dreht sie den Geldhahn zu, ist es aus. Dass sie ihn wieder aufdreht, scheitert ganz offensichtlich am Widerstand in Mittel-, Nord- und Osteuropa. Das kann man kritisieren, ändert aber nichts an den Machtverhältnissen innerhalb der Zentralbank – schon gar nicht auf die Schnelle.

Alexis Tsipras hätte längst mit einer Reform des Landes beginnen können.

Daher ist Eile geboten, eine tragfähige, für alle gesichtswahrende Lösung zu finden – zumal einige Euro-Hardliner versucht sein mögen, Griechenland am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen.

Eine Lösung kann es nur geben, wenn beide Seiten aufeinander zugehen. Für die Gläubiger heißt das: anerkennen, dass ein Schuldenschnitt nötig und die Austeritätspolitik gescheitert ist. Aber auch Griechenland muss lernen: Wer einen europäischen Sozialstaat will, muss dafür sorgen, dass der Staat funktioniert. Dazu gehören effektive, nicht korrupte Verwaltungen; dazu gehören Steuerämter, die Steuern einziehen – und Bürger, die ihre Steuern auch bezahlen. Anders gesagt: Hätten andere europäische Sozialstaaten eine Steuermoral wie Griechenland, wären sie wohl auch pleite.

Klar, die Modernisierung einer Gesellschaft dauert. Dennoch hätte Tsipras längst mit ersten Schritten einer Verwaltungsreform beginnen können. Aber noch wichtiger ist die ökonomische Perspektive, auch um notwendige EU-Investitionshilfen zu bekommen: Welche Branchen sollen mit welchen Maßnahmen fit gemacht werden, damit die Wirtschaft wieder wächst?

Chancen gibt es genug: im Energiesektor mit dem Ausbau der Erneuerbaren und der Erschließung von Erdgasfeldern, im Tourismus mit dem Trend zum Aktivurlaub, in der Landwirtschaft, im Handel mit der Nähe zur boomenden Türkei.

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Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.

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