Kommentar Facewatch-App in London: Datenschutz, aber warum denn?

In Großbritannien hat die Polizei eine Überwachungs-App entwickelt und keiner protestiert. Warum nicht? Weil die Briten finden, Sicherheit gehe vor.

Eine Erfindung für Amateurspitzel – und niemand regt sich in Großbritannien darüber auf. Scotland Yard hat eine App für Smartphones entwickelt, mit der man knapp 3.000 Fotos von mutmaßlichen Teilnehmern an den Londoner Krawallen im vergangenen August herunterladen kann. Erkennt man einen, soll man Namen und Anschrift melden.

Warum protestiert niemand dagegen? Weil 80 Prozent der Briten finden, dass man persönliche Informationen im Dienste der Sicherheit oder der Schnäppchenjagd herausrücken muss. Die Nation füllt jedes Jahr rund 40 Millionen Fragebogen von Marktforschungsinstituten und 54 Millionen Gutscheine für Preisnachlässe mit zum Teil sehr persönlichen Fragen aus.

Mit den Kameras in den britischen Innenstädten, mit denen man lückenlos überwacht wird, hat man sich längst abgefunden. In keinem anderen westlichen Land käme eine Stadtverwaltung auf die Idee, sämtliche Gespräche von Taxi-Passagieren aufzeichnen zu lassen. Die Kommunalpolitiker in Oxford ließen die Pläne schließlich aus Kostengründen fallen.

Sicher, es gibt Datenschutzgesetze. Aber solange Regierung und Behörden dermaßen sorglos damit umgehen, verkommt Datenschutz zum Witz. Die Unterlagen von Kindergeldempfängern, die Akten über al-Qaida und die Manipulation des Bankensystems zur Finanzierung des Terrorismus, die Papiere über die Sicherheitsvorkehrungen für den Flughafen Heathrow und über die Schutzmaßnahmen für den damaligen Innenminister David Blunkett wurden in Eisenbahnen, in Papierkörben oder vor Kneipen gefunden.

Wo Datenschutz in den Köpfen der Regierung und der Bevölkerung so wenig verankert ist, führt das fast zwangsläufig zu Auswüchsen wie bei der News of the World, die Telefone von Prominenten, Mordopfern und Politikern angezapft hat. Auch mit der neuen App von Scotland Yard sind dem Missbrauch und dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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