Kommentar Finanzmarkt: Dialektik der Zinssenkung

Viele Staaten und Notenbanken haben schon das Maximale getan, um den Finanzmarkt zu stützen - und provozieren neue Probleme. Eine beunruhigende Aussicht.

Am Anfang war eine Börsenpanik - und am Ende eine Panik bei den Notenbanken. In einer konzertierten Aktion wurden weltweit die Leitzinsen gesenkt, um einen weiteren Kursverfall bei den Aktien zu verhindern. Beim deutschen Leitindex DAX hat dies nichts genutzt: Er ist am Mittwoch auf etwa 5.000 Punkte abgestürzt.

Das spricht nicht gegen die spektakuläre Zinssenkung der Notenbanken: Sie müssen schließlich auf die Unruhe der Investoren reagieren. Aber es zeigt sich eben auch, wie zweischneidig jede Intervention der Zentralbanken ist: Sie wollen Vertrauen schaffen - und provozieren doch zugleich Misstrauen. Instinktiv fragt sich jeder Anleger, wie schlimm wohl die tatsächliche Situation sein muss, wenn jetzt sogar schon sechs (!) Zentralbanken gleichzeitig (!) die Zinsen senken.

Eine ähnlich verstörende Erfahrung musste schon Kanzlerin Merkel machen. Sie hatte sich gedacht, dass es die Bürger beruhigen würde, wenn sie alle Spareinlagen mit einem staatlichen Garantieversprechen versieht. Doch stattdessen nahm die Angst sogar noch zu, weil den Anlegern vor allem auffiel, dass es eine solche Zusage in der bundesdeutschen Geschichte noch nie gegeben hatte. Dann muss ja wohl die Katastrophe drohen! Diese ungewollte Botschaft hat Kanzlerin Merkel nicht mehr aus der Welt schaffen können. Der Staat ist der Retter in letzter Not. Aber damit signalisiert er eben auch mit jeder Rettungsaktion, dass die Not groß sein muss.

Jenseits dieser eher psychologischen Phänomene tritt auch ein objektives Problem auf: Viele Staaten und Notenbanken haben schon das Maximale getan, mehr ist kaum noch möglich. So hat Großbritannien inzwischen einen Großteil seiner Banken verstaatlicht. Auch die Leitzinsen in den USA sind jetzt verdammt niedrig, obwohl es sehr gute Gründe gibt, zu vermuten, dass ausgerechnet die langjährig niedrigen US-Zinsen eine Ursache der jetzigen Kreditkrise sind. Was derzeit wie ein Rettungsversuch aussieht, könnte den nächsten Crash provozieren.

Die Anleger sind also nicht umsonst besorgt. Die Zentralbanken sind relativ machtlos - und werden noch machtloser werden. Was keinen schönen Ausblick auf die Zukunft verspricht.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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