Kommentar Flüchtlingsgipfel: Deutschland einfach härter machen

Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder loben sich für einen Kompromiss, der kein Lob verdient. Er ist gleich mehrfach perfide.

Flüchtlinge übernachten auf einem Sportplatz.

Schon mal kein Fehlanreiz: improvisierte Flüchtlingsunterkünfte. Foto: dpa

So ein Wort können sich wirklich nur Bürokraten ausdenken. Kalt, technisch und unpersönlich klingt es, aber irgendwie auch präzise und scheinbar wahr. Dieses Wort war der Kanzlerin, dem Grünen Winfried Kretschmann und den anderen Ministerpräsidenten bei ihrem großen Asylkompromiss sehr wichtig, es fällt gleich mehrfach in ihrem Beschluss. Fehlanreize.

Fehlanreize also gelte es für Asylbewerber tunlichst zu vermeiden, was übersetzt bedeutet: Wir müssen Deutschland einfach unfreundlicher und härter machen, dann kommen weniger Hilfesuchende zu uns. Dass die CSU und Merkels CDU so denken, ist keine Überraschung. Aber auch die Sozialdemokraten und die Grünen stimmen dieser Analyse zu, auch wenn sie das nicht ganz so laut sagen. Das ist der große Konsens der deutschen Politik, der sich Donnerstagnacht offenbarte.

Jener ist gleich mehrfach perfide. Zunächst arbeiten Merkel und die Länderchefs mit einer handfesten Unterstellung. Viele Flüchtlinge suchen doch gar nicht Schutz, sie wollen etwas bei uns abgreifen - unseren Reichtum, unser Geld, unsere Sozialleistungen. Wer so denkt, sollte sich kurz vor Augen führen, wie tief empfunden Not sein muss, wenn Menschen freiwillig ihre Familie, ihre Freunde und ihre Heimat zurücklassen, um auf eine lebensgefährliche Reise zu gehen.

Solche Menschen mögen nach deutschem Recht keinen Asylgrund haben. Aber mindert das ihren Mut, den Aufbruch zu wagen? Oder ihr Recht, ihr Glück zu suchen? Merkels ganz große Koalition hat sich nicht nur dafür entschieden, Armutsflüchtlinge zu entmutigen. Nein, jetzt werden ein paar Schikanen in Gesetzestexte gegossen. Der Staat wird Asylbewerber bis zu sechs Monate in völlig überfüllte Erstaufnahmeeinrichtungen sperren, nicht nur drei wie bisher. Dies wird das Chaos vor Ort nur vergrößern, da sind sich viele Experten einig.

Eine fatale Logik

Das kleine Taschengeld, mit dem sich Flüchtlinge bisher einen Kinobesuch, die Busfahrt in die Innenstadt oder ein Eis an der Ecke kaufen können, wird gestrichen. Stattdessen wollen Merkel und die Ministerpräsidenten Sachleistungen oder Gutscheine gewähren. Mal abgesehen davon, dass es schon recht widerwärtig ist, 143 Euro im Monat in einem reichen Land als luxuriösen „Fehlanreiz“ zu definieren: Dieser bürokratische Unfug wird die gestressten Helfer vollends in den Wahnsinn treiben.

Bekommt jeder einen Zigarettengutschein, auch die Nichtraucher? Muss jeder ins Kino, auch die, die nicht wollen? Hilft eigentlich ein Gutschein-Schwarzmarkt in Unterkünften? Ist das alles nicht etwas irre? Das sind so Fragen, die die Entscheider im Kanzleramt lieber nicht beantworten wollten.

Eine Idee aber ist besonders abstoßend. Merkel und die Länder wollen abgelehnten Asylbewerbern, die nicht freiwillig ausreisen, jede Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz streichen - bis auf das „unabdingbar Notwendige“. Will der Staat in Zukunft also verzweifelten Menschen, die sich ihm nicht unterordnen, das Existenzminimum kürzen? Das wäre in der Tat eine interessante Rechtsauslegung, vermutlich bleibt diese Klausel deshalb bewusst schwammig.

Dann könnte der Gesetzgeber sich zum Beispiel auch überlegen, Hartz IV-Bezieher, die einen ungeliebten Job nicht annehmen, aus ihrer Wohnung zu werfen. Motto: Wer nicht hören will, wird eben obdachlos, wieder ein Fehlanreiz weniger.

Eine solche Logik aber wäre fatal. Die Stärke eines Rechtsstaates zeigt sich gerade in seinem Umgang mit Schwachen, die Menschenwürde gilt auch für diejenigen, die Gesetze nicht achten. Merkel, Kretschmann und die anderen Ministerpräsidenten loben sich im Moment für einen Kompromiss, der kein Lob verdient.

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