Kommentar Flüchtlingspolitik: Frontex' Auftrag ist das Problem

Die Menschenrechte werden in Europa nicht in Frage gestellt. Doch Flüchtlinge, die Ansprüche stellen könnten, werden kurzerhand ferngehalten.

Vom Offshore-Prinzip leben ganze Staaten: Steueroasen etwa, die das Kapital von allen lästigen Verpflichtungen befreien, ohne dass dafür allzu offen gegen geltendes Recht verstoßen werden müsste.

Ganz ähnlich verfährt Europa im Bereich der Menschenrechte: Die Buchstaben der völkerrechtlichen Konventionen tastet es nicht an - doch jene, die als Flüchtlinge daraus lästige Ansprüche stellen könnten, werden kurzerhand aus dem Bereich der eigenen Jurisdiktion ferngehalten.

Genau diese Praxis hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Mittwoch verurteilt: Auch auf Hoher See gilt das internationale Füchtlingsrecht, sofern ein Unterzeichnerstaat ins Spiel kommt. Asylanträge müssen geprüft werden, der Rechtsweg muss Flüchtlingen offen stehen, so die Richter.

Sie griffen damit eine zentrale Strategie des europäischen Grenzregimes an. Denn das sofortige Zurückschieben von "Papierlosen" ist keine Form der Notwehr, wie Italien es glauben machen will; keine Folge vermeintlich übermäßiger Belastungen durch die Ankunft "Papierloser". Es ist vielmehr Teil der Umsetzung einer wohldurchdachten Strategie: Flüchtlingen den Zugang zu Europa zu verschließen und die unverändert gültige Genfer Konvention so gar nicht erst zum Tragen kommen zu lassen.

ist Redakteur der taz.

Die EU hat dafür die Grenzschutzagentur Frontex aufgebaut, die längst eine eigene Außenpolitik betreibt. An Europas Außengrenzen werden Ankömmlinge aktiv gehindert, ihr Recht auf ein Asylverfahren geltend zu machen; teils durch Zurückschieben, teils durch sogenanntes Migrationsmanagement.

Das funktioniert nur dank einer - mal erkauften, mal erzwungenen - Zusammenarbeit: So, wie Berlusconi es einst mit Gaddafi vorgemacht hat, gemeindet Frontex heute EU-Anrainer im Osten und Süden als Hilfsgrenzschützer ein. Das ist sein Auftrag - und der ist das Problem. Diese Lehre muss Europa aus dem Straßburger Urteil ziehen.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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