Kommentar Frontex im Mittelmeer: Kein Asyl auf Hoher See

In Zukunft kann Frontex Flüchtlinge völlig legal übers Meer zurückschleppen. Die EU verkauft das Ganze perfiderweise als Fortschritt für Migranten.

Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa können in Zukunft legal direkt nach Afrika zurückgeschleppt werden. Bild: dpa

Das Schöne am freien Meer ist, dass dort jeder machen kann, was er will. Das jedenfalls scheint sich die EU zu denken. Nur so ist zu erklären, dass ihre Grenzschützer in Zukunft schon auf Hoher See in Aktion treten sollen. Flüchtlingsboote stoppen, kontrollieren, durchsuchen, die Insassen festsetzen und an Orte bringen, an die sie nicht wollen – dazu wird Frontex in wenigen Wochen ermächtigt: ganz so, als befinde man sich auf dem eigenen Territorium.

Was in anderen Fällen schwere diplomatische Verwicklungen nach sich ziehen könnte, ist bei Flüchtlingsbooten anscheinend kein Problem. Schließlich können die sich nicht wehren.

So wird die Bewegungsfreiheit der einen zur Handfessel für die anderen. Die EU expandiert. Schön für alle, die in den Genuss der Freizügigkeit kommen. Aber je größer die Union wird, desto dreister sichert sie ihre äußeren Grenzen.

Den Flüchtlingen entgegenzufahren, sie unterwegs abzufangen und dahin zurückzubringen, woher sie kommen, ist nicht neu. Bislang war das aber eher eine Praxis von einzelnen Meeresanrainern – Italien, Spanien, Griechenland. Dass diese damit gegen EU-Recht verstießen, hat sie nicht weiter interessiert – auch wenn der Europäische Gerichtshof teilweise den Flüchtlingen Entschädigungen zugesprochen hat.

Von Schily gelernt

In Zukunft aber kann auch der gemeinsame Grenzschutz in Gestalt von multinationalen Frontex-Missionen völlig legal zurückschleppen. Dass das Ganze von der EU als Fortschritt in Sachen Migrantenrechte verkauft wird, weil gleichzeitig die Pflicht zur Seenotrettung Gesetzesform bekommt, macht die Sache keinen Deut besser.

Zehn Jahre ist es her, dass Deutschlands damaliger Innenminister Otto Schily vorschlug, die Asylverfahren von Flüchtlingen gleich in Nordafrika durchzuführen. Damals scheiterte er mit seiner Idee. Doch das muss nicht so bleiben – etwa nach Erfolgen der Rechtsparteien bei der Europawahl im Mai.

Kern der Neuregelung sind die „sicheren Transitstaaten“. Nur in solche darf Frontex Flüchtlinge zurückbringen. Programm der Europäischen Nachbarschaftspolitik mit Nordafrika ist deshalb, Länder wie Tunesien und womöglich auch Libyen darauf zu drängen, ein eigenes Asylsystem aufzubauen – auch wenn sie ungleich weniger Ressourcen dafür haben als die Staaten Europas. Der Traum vom Offshore-Flüchtlingsschutz ist in Brüssel noch lange nicht ausgeträumt.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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