Kommentar Grüne und Fiskalpakt: Angst vor dem Wählerfrust

Statt Abweichler in der eigenen Partei zu disziplinieren, sollte die Grünen-Spitze ihnen danken. Denn sie signalisieren, dass der Partei ihre Basis nicht ganz egal ist.

Die Grünen stecken beim Streit über Europas historisches Sparpaket in einem klassischen Dilemma. Ihre Wählerschaft will beim Fiskalpakt etwas anderes als große Teile der Partei. Die Parteispitze muss also einen Widerspruch verwalten, der schwer aufzulösen ist. Und die Tatsache, dass ein Viertel der Fraktion gegen den von ihren ChefInnen verhandelten Fiskalpakt stimmen will, liefert dafür nur den letzten Beweis.

Die klassische Grünen-Wählerschaft – gebildet, entsprechend gut verdienend, kulturell interessiert – hat durchaus ein Herz für Europa. Man schickt die Tochter zum Erasmus-Jahr nach Barcelona, goutiert die unkomplizierte Städtereise, pflegt Freundschaften und kennt auch die ökonomischen Vorteile des gemeinsamen Wirtschaftsraums.

Doch trotz dieser Affinität ist ihre Bereitschaft zur länderübergreifenden Milliardenhilfe begrenzt. Denn die leistungsbereite Mittelschicht teilt verbreitet das Gefühl, sowieso zu viel Steuern zu zahlen. Sie legt Wert auf Abgrenzung von Verlierern, gerade in der Krise nimmt die Angst vor dem eigenen Absturz zu.

Deshalb ist die Zustimmung der Grünen-Wähler zum Fiskalpakt in Umfragen riesig, deshalb finden sie Kanzlerin Angela Merkel gar nicht mal übel. Und die Grünen-Spitze starrt ängstlich auf diesen wachsenden Frust. Und sie möchte ihn ebenso bedienen, wie es die Kanzlerin tut.

Vielen an der Basis reicht diese Gratwanderung nicht mehr, hier wächst das Bedürfnis nach klarer Kante gegen Merkels brutale Sparpolitik. Wenn sich schon ein Funktionärsgremium wie der Länderrat nur äußerst knapp zum Ja für den Fiskalpakt durchringt, hätte ein regulärer Parteitag sicher abgelehnt.

Die Herausforderung für die Grünenspitze ist also, auf Ängste der Wähler zu reagieren, dabei aber die eigene Partei nicht zu verlieren. Und statt die Abweichler in der Fraktion zu disziplinieren, sollte sie ihnen danken. Denn sie signalisieren der Parteibasis, dass sie nicht völlig irrelevant ist.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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