Kommentar Hamburger Schulreform : Mobbing der Bürgerlichen

In Hamburg dürfen die meisten Migranten nicht mit über die Schulreform abstimmen. Also entscheiden die Deutschen, ob ihr Schulsystem einwandererfeindlich bleibt oder nicht.

Es ist atemberaubend, zu sehen, wie die bürgerlichen Leitmedien wenige Tage vor der Volksabstimmung in Hamburg gegen die Primarschule Front machen. Es handele sich um eine "überflüssige" Reform, die den Bildungsverlierern nicht helfe, schreiben Spiegel wie Zeit.

Hier ist das Bürgertum getroffen. Hier kämpft eine Schicht, die über die Kulturtechnik verfügt, den eigenen Nachwuchs durchs Gymnasium zu schleusen, um ihre Privilegien zu schützen. Und sie nutzt ihre Macht, den Diskurs zu bestimmen. Forscher wie Klaus-Jürgen Tillmann, die sich für das längere gemeinsame Lernen aussprechen, weil andere Länder damit gute Leistungen erzielen und es dabei weniger sozial selektiv ist, sind derzeit wenig gefragt.

Additive Förderung statt Integration, lautet die Devise der Primarschulgegner. Gebt den armen Schulen mehr Ressourcen und lasst unsere Gymnasien in Ruhe. Auch sorgt man sich auf einmal um die frühkindliche Sprachförderung. Aber Kinder lernen Sprache vor allem voneinander, von ihren Freunden. Die frühe Förderung allein nützt nichts, wenn man türkische Kinder mit zehn Jahren von ihren deutschen Freunden trennt. Dass Fünft- und Sechstklässler gemeinsam lernen, ist europaweit üblich. So werden sogenannte negative Lernmilieus vermieden. Wenn man Bildungsverlierer unter sich lässt, lernen sie wenig, egal wie gut die Personalausstattung ist. Die Folge ist, dass ein Viertel der Schüler später keine Ausbildung beginnen kann. Dies kann sich unsere Gesellschaft bekanntlich nicht leisten.

Doch die jetzt alarmierten Bildungsbürger haben nur ihr eigenes Kind im Blick. Der Eintritt ins Gymnasium ist die "Statusprobe", die die Zugehörigkeit zur Mittelschicht sichern soll. Zurück bleiben überwiegend die Kinder aus Einwandererfamilien.

Man stelle sich vor, eine Schulklasse stimmt darüber ab, ob eine Gruppe weiter gemobbt wird, lässt diese aber nicht mitstimmen. So spielt es sich gerade in Hamburg ab. Jedes zweite Grundschulkind hat einen Migrationshintergrund, aber nicht mal die Hälfte ihrer Eltern den für die Abstimmung nötigen deutschen Pass. Am Sonntag stimmen also die Deutschen darüber ab, ob ihr Schulsystem einwandererfeindlich bleiben soll.

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Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

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