Kommentar Iran: Spiritualität tötet

Aufstände als solche zählen nichts, sie müssen ihre Ziele schon ausweisen, ehe wir ihnen Solidarität über den Moment hinaus schenken.

Ja, wir bangen mit. Wir hoffen, dass im Iran die Protestierenden das theokratische Regime beseitigen helfen. Wir können natürlich nur mitfiebern, denn wir wissen nicht einmal, wer für welche neue Politik stehen könnte. Dass es hauptsächlich junge Menschen sind, die die bleiernen Zeiten abstreifen möchten, mag ein gutes Zeichen sein - muss es aber nicht.

Wir können nicht wirklich beurteilen, ob die Rebellierenden für eine Gesellschaft fechten, in der Frauen nicht mehr in einer Art Kopftuchapartheid gezwungen bleiben; in der der religiöse Vorbehalt in der Gerichtsbarkeit abgeschafft wird; in der Homosexuelle nicht hingerichtet werden und in der Israel nicht weiter als Todfeind gilt.

In Israel selbst glaubt man, der Aufruhr im Iran sei ein Streit innerhalb einer Familie, der am Wesen des Staates nichts ändern werde. Das könnte sein. Sicher ist, dass eine gewisse Nüchternheit in der Analyse gerade Linken nicht schlecht zu Gesicht stünde, dass sich jetzt eine abermals quasireligiöse Haltung zum Furor, den wir aus dem Iran übermittelt bekommen, verbietet.

Vor 30 Jahren waren es gerade viele autonome Linke, die sich am Rausch der religiösen Machtübernahme in Teheran delektierten. Ihnen war der Religionsmob als Projektionsfläche eigener Entgrenzungssehnsüchte gerade recht. Und ihr wichtigster Theoretiker war Michel Foucault. Er war der Stichwortgeber einer hemmungslosen Linken, die alle westliche Zivilisation ästhetisch hasste. Sie wollten Tabula rasa - und Foucault spielte ihnen in die Karten. Dessen theoretisches Werk heizte eine Weltanschauung an, in der alle Ordnung schlecht ist, alle Zivilisation, die westliche vor allem, Lug und Trug. Foucault verachtete den Kampf um Liberalität und Bürgerrechte, hielt Minderheitenschutz für albern, weil er lediglich der Herrschaft als solcher diene.

Den Iran und die die weltliche Macht übernehmenden Ajatollas interpretierte Foucault als spirituelles Pflaster, als Verkörperung des Antipolitischen, und das verstand er tatsächlich als Kompliment. Die iranische Revolution war für einen wie Foucault - und Millionen seiner lesenden Kader - eine rauschhafte Quelle der Entgrenzung zivilisatorischer Fortschritte. In der Zerstörung des Säkularen sahen sie das Symbol der ihnen lästigen Folgen bürgerlicher Aufklärung, der Gewaltenteilung, der grundsätzlichen Kühle von staatlichem Handeln überhaupt. Foucault und die Seinen wollten ausdrücklich eine Welt, in der sich Volk auf Hitze und Hysterie reimt, in der alle Differenzierung nicht mehr gilt - die ideologisch delikate Nähe zu völkischem Gedankengut war und ist ganz offenkundig.

Foucault soll sich später von seiner Euphorie über den religiös inspirierten Wahn distanziert haben - in Wahrheit wollte er sich lediglich in der Hinsicht erklären, keineswegs habe er sich seine Finger schmutzig machen wollen. Und doch tat er genau das: ein Theoretiker der Verachtung für bürgerliche Strukturen, die auf Kompromiss und Ausgleich setzen, ein Zettelkastenzufallshistoriker, der überall nur Macht sah und für die eigene Machtgeilheit blind blieb.

Das muss im Hinblick auf eine linksradikale Tradition, die in jeder Rührung der sogenannten Volksmassen bereits ein Fest, eine explodierende Sache sieht, zu denken geben. In dieser Erbschaft liegen auch die Passionen für jedwede Militanz, die nur sich selbst als Zweck hat - und diese Leidenschaften leben noch. In der Liebe zur Eskalation, die um ihrer selbst willen sich feiert, steckt die Tyrannei - der Spiritualität. Einerlei, ob es um islamische oder christliche Dinge geht: Im Iran waren die sogenannten Volksmassen im Namen Allahs unterwegs, und sie konnten es; könnte der katholische Klerus dies auch, wäre er in seiner inquisitorischen Strenge nicht weniger blutig - historisch ist dies leicht belegbar.

Dies in Sachen 1979 im Kopf zu behalten, also auch zu vergessen, dass da mal eine autonome Linke mit ihrem Helden namens Foucault alle westlich-säkulare Freiheit vor religiösen Wächtern und Schlächtern opfern wollte, ist nötig, um den iranischen Aufruhr der Jetztzeit bewerten zu können. Aufstände als solche zählen nichts, sie müssen ihre Ziele schon ausweisen, ehe wir ihnen Solidarität über den Moment hinaus schenken.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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