Kommentar Kommunalwahlen Türkei: Istanbul macht Hoffnung

Ekrem İmamoğlu's Wahlsieg in Istanbul wurde anerkannt – und damit die Niederlage der AKP. Für Erdoğan könnte das der Anfang vom Ende werden.

Eine Gruppe von Menschen halten feiernd rote Fahnen und Pyrotechnik hoch, im Hintergrund der Horizont bei Dämmerung.

Die Opposition schöpft wieder Mut Foto: reuters

Es war wie ein erster Regen nach einer jahrelangen Dürreperiode, ein lautstarker Jubel von Millionen Istanbulern, als Ekrem İmamoğlu nach 17-tägigem Kampf um die Anerkennung seines Wahlsieges endlich seine Ernennungsurkunde überreicht bekam.

Nach 25 Jahren Herrschaft der AKP und ihrer islamistischen Vorgängerpartei ist wieder ein säkularer Demokrat Chef der größten und wichtigsten Stadt des Landes, der einzigen Weltmetropole der Türkei. Vor 25 Jahren startete Recep Tayyip Erdoğan nach einem äußerst knappen Wahlsieg seine politische Karriere als Oberbürgermeister von Istanbul – mit der dortigen Niederlage seiner AKP beginnt nun auch mutmaßlich sein Niedergang. Sicher, noch ist İmamoğlu nur unter Vorbehalt im Amt. Die AKP hat beim Hohen Wahlrat wegen „außerordentlicher Vorkommnisse““ Neuwahlen beantragt und außerdem Strafanzeige wegen Wahlbetrugs gestellt. Das ist allerdings wenig überzeugend, da ja die AKP als Regierungspartei die komplette Kontrolle über den Wahlprozess hatte. Und selbst wenn mit juristischen Tricks und massivem politischen Druck eine Neuwahl erzwungen werden sollte: Die Stimmung in der Stadt ist so, dass die Opposition eher noch höher gewinnt als zuvor.

Es mag vorschnell erscheinen, wenn jetzt der Anfang vom Ende der Herrschaft Erdoğans prophezeit wird. Denn erstens war es ja nur eine Kommunalwahl und zweitens hält er als Präsident und Vorsitzender der Regierungspartei ja weiterhin alle Zügel in der Hand, doch das erste Mal nach 17 Jahren an der Macht zeigte sich jetzt: der König ist nackt. Erdoğan selbst hatte mit einem sehr persönlichen, sehr schmutzigen und extrem polarisierenden Wahlkampf die Abstimmung erneut zu einem Referendum über seine Person gemacht. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Mehrheit der Bewohner in den entscheidenden Städten des Landes – da, wo das Geld erwirtschaftet wird, von dem die Türkei lebt – will ihn nicht mehr. Und die Opposition hat gelernt: Mit gemeinsamen Gegenkandidaten ist Erdoğan schlagbar. Das wird Folgen für die Zukunft haben. Erdoğan wird Mühe haben, seinen Laden zusammenzuhalten. Nach dem Verlust der reichsten Städte ist sein Klientelsystem nicht mehr bezahlbar und die Opportunisten wenden sich von ihm ab. Ehemalige AKP-Größen, die Erdoğan verdrängt hatte, könnten nun ihre Pläne wahr machen und eine neue konservative Partei gründen, die die AKP spalten würde.

Das wichtigste aber ist: Die Angst schwindet, die Opposition schöpft wieder Mut und Hoffnung. Die Ära der massiven Repression nach dem Putsch im Sommer 2016 geht zu Ende – das Land hat wieder Hoffnung auf eine Rückkehr zur Demokratie.

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