Kommentar Konflikt Indien und Pakistan: Neues Denken ist gefragt

Der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan und der Aufstieg Chinas verschiebt die Machtbalance in Asien. Die Dschihadisten sind auf dem Vormarsch.

Pakistani schauen in einem Fernsehgeschäft die Nachrichten

Die Nachrichten über den indisch-pakistanischen Konflikt schrecken die Menschen weltweit auf Foto: ap

Pakistan und Indien, die zwei verfeindeten Atommächte, haben schon so oft miteinander Krieg geführt und kurz vor Kriegen gestanden, dass im Ausland ein Ermüdungseffekt eingetreten ist. Vor allem die USA, die nach den Terroranschlägen 2001 in Delhi und 2008 in Mumbai noch stark vermittelt hatten, sind unter Präsident Donald Trump weitaus weniger gewillt, ihr gesamtes Gewicht in die südasiatische Waagschale zu werfen.

Doch das macht die Situation im Süden Asiens nicht weniger gefährlich. Der geplante Abzug der US-Truppen aus Afghanistan, der den radikalislamischen Taliban eine Rückkehr an die Macht in der Hauptstadt Kabul verspricht, ist auch und vor allem ein Sieg des Dschihadismus und des politischen Islam in Südasien.

Terrorgruppen wie Dschaisch-e-Mohammed und Laschkar-e Taiba, die auch Kontakte zu den Taliban unterhalten, sehen sich daher nicht nur in ihrer Strategie bestätigt, sondern sie sind schon jetzt dabei, ihre Kampfzone in Richtung Osten auszuweiten. Indien ist daher zu Recht der Meinung, dass es nicht länger untätig bleiben kann, wenn es zum Opfer von Anschlägen wird.

Der globale Rückzug der Ordnungsmacht USA und der Aufstieg Chinas verschieben derzeit die strategischen Gewichte in Asien zum Nachteil Indiens. Doch was die Regierung von Premierminister Narendra Modi (und nicht nur diese) übersieht, ist die Tatsache, dass Terrorismus immer auch politisch bekämpft werden muss.

Neu-Delhi hat der Radikalisierung der Jugend in Kaschmir zu lange untätig zugesehen, weil es stets Pakistan die Schuld an der Unruhe geben konnte. Dabei sind in Kaschmir noch lange nicht alle Möglichkeiten der zivilen Konfliktbearbeitung ausgeschöpft, im Gegenteil.

Nicht nur für Indien eine Gefahr

Wenn heute Dschihad-Organisationen in Kaschmir auf dem Vormarsch sind, ist dies nicht nur eine Gefahr für den multireligiösen Vielvölkerstaat Indien, sondern für die ganze Welt, da diese Organisationen eine globale Agenda verfolgen.

Die „strategische Partnerschaft“ mit Indien, die die Europäische Union in den vergangenen Jahren wiederbelebt hat, muss daher auch Antworten auf die Herausforderung des Terrorismus in der Region finden. Den richtigen Politikmix dafür zu finden ist nicht einfach. Aber eines ist klar: Beschwichtigungsversuche helfen nicht mehr und Äquidistanz zu Indien und Pakistan auch nicht.

Eine Machtübernahme der Taliban in Afghanistan ist ebenso wenig im Interesse Deutschlands und Europas wie eine Ausbreitung des Dschihadismus in der Region und eine Zunahme religiöser Konflikte in Indien. Es muss stattdessen da­rauf ankommen, die demokratischen Kräfte in Südasien zu unterstützen, diplomatisch, politisch und militärisch.

Wie dies im Einzelnen aussehen kann, muss diskutiert werden. Aber die Richtung sollte klar sein, denn viele demokratische Verbündete haben wir nicht mehr.

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Britta Petersen ist Senior Fellow bei der indischen Denkfabrik Observer Research Foundation (ORF) in Neu-Delhi und Mitglied im Korrespondenten-Netzwerk "weltreporter.net". Bis 2014 war sie Bueroleiterin der Heinrich Boell Stiftung in Pakistan, zuvor Redakteurin und Korrespondentin der Financial Times Deutschland (FTD) in Berlin, Kabul und Neu-Delhi (bis 2010). Fuer ihre Arbeit mit jungen afghanischen Journalisten erhielt sie 2005 den Leipziger "Preis fuer die Freiheit und Zukunft der Medien" und 2009 den "Gisela Bonn Preis" für Beiträge zur deutsch-indischen Verständigung.

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