Kommentar Machtwechsel in der Ukraine: Putins Nadelstiche

Der neue Präsident der Ukraine ist noch nicht im Amt, schon wird er vom russischen Staatschef vorgeführt. Der bietet Separatisten an, Russen zu werden.

Wladimir Putin

Großzügig, wenn es um russische Pässe geht: Wladimir Putin Foto: reuters

Jetzt ist klar, warum der Kreml den Wahlsieg von Wolodimir Selenski bei der ukrainischen Präsidentenwahl bislang mit Zurückhaltung quittiert. Russlands Präsident Wladimir Putin hat einen anderen Willkommensgruß im Köcher. Und der hat es in sich, denn er ist nichts anderes als eine Provokation. Künftig soll es für BürgerInnen der von pro-russischen Kämpfern kontrollierten Gebiete Donezk und Lugansk leichter werden, einen russischen Pass zu erhalten.

Was diese Maßnahme bedeutet, die Putin allen Ernstes als Akt der Humanität zu verkaufen versucht, ist in der von Georgien abtrünnigen Republik Südossetien zu besichtigen. Auch hier wurden die Bewohner nach dem Krieg 2008 mit entsprechenden Dokumenten ausgestattet. Der Flecken ist der Kontrolle durch Tiflis entzogen, seine Grenzen verschieben sich stetig und unaufhaltsam weiter in das georgische Kernland hinein.

Auch auf der Krim wurden in den Nullerjahren russische Pässe verteilt – das Ende ist bekannt. Eine militärische Intervention oder sogar Annexion begründet der Kreml dann immer gerne damit, die Menschenrechte seiner StaatsbürgerInnen im Ausland verteidigen zu müssen.

Dass dieser Schritt zum jetzigen Zeitpunkt kommt, ist ein Ausdruck tiefer Verunsicherung in Moskau, die die Wahl Selenskis ausgelöst hat. Unter dem scheidenden Amtsinhaber Petro Poroschenko, der perfekt das Freund-Feind-Schema bediente, waren die Fronten eindeutig. Wie Selenski, der nicht nur großen Rückhalt im russisch geprägten Osten der Ukraine hat, sondern auch viele Symphatien in Russland selbst genießt, agieren wird, ist noch nicht ausgemacht. Für ihn, der noch nicht einmal sein Amt angetreten hat, ist die Situation heikel. Er kann es nicht leisten, nicht zu antworten. Dennoch sollte sich Selenski keinesfalls zu übereilten Reaktionen hinreißen lassen.

Denn genau das würde nur Putin in die Hände spielen. Der ist offenbar fest entschlossen, die Situation im Osten der Ukraine weiter zu destabilisieren. Eine erste Bewährungsprobe hätte das Sprachengesetz sein können, das heute am Donnerstag im Parlament beraten wurde und eine Einschränkung des Gebrauchs des Russischen vorsieht. Dass es dann genau so verabschiedet wurde, dürfte die Ausgangsposition Selenskis nicht gerade verbessern. Und der Westen? Er konnte gar nicht schnell genug Selenski seiner Unterstützung und Solidarität versichern. Früher als gedacht ist schon jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, den Worten auch Taten folgen zu lassen.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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