Kommentar Mordprozess Marwa S.: Muslime sind immer Täter

Marwa S. ist das erste muslimische Todesopfer der Islamophobie in Deutschland. Und trotzdem will man lieber über Muslime als Täter sprechen. Zeit, dass das aufhört.

Muslime sind Täter – das wissen wir spätestens seit den Anschlägen des 11. September. Da passt es offenbar nicht ins Bild, wenn Muslime auch einmal Opfer sind, wie im Fall des Mordes an Marwa S.. Deren Mörder steht nun vor Gericht, nachdem er aus offenkundig rassistischen Motiven die junge, schwangere Kopftuch tragende Ägypterin vor den Augen ihres dreijährigen Kindes und ihres Ehemannes mitten in einem deutschen Gericht niedergestochen hatte.

Bei der Berichterstattung rund um den Prozess, der am Montag in Dresden beginnt, könnte es darum gehen, wie eine antiislamische Stimmung in Deutschland, angeheizt von vielen Schreibtischtätern, dem Mörder Alex W. zugearbeitet hat. Stattdessen aber dreht sich alles um die Sicherheitsvorkehrungen im Prozess: die 200, das Gericht schützenden, Polizisten und das extra angebrachte Panzerglas, die den Prozess vor muslimischen Racheaktionen schützen soll.

Pünktlich zu Prozessbeginn taucht denn auch eine Audiobotschaft eines Scheichs an die Muslime in Deutschland auf, Alex W. zu ermorden und dadurch ins Paradies zu gelangen. Die Informationen über den Aufruf liegen zwar dem Magazin Der Spiegel vor – nicht aber den angesprochen Muslimen in Deutschland, die die Tat ja ausführen sollten. Bei einer einfachen Suche im Netz nach dem Mordaufruf, lässt sich nichts aufspüren.

In jedem Fall ist die Welt wieder in Ordnung. Muslime sind doch wieder die Täter, egal ob in Wirklichkeit, potentiell, imaginär oder virtuell. Notfalls kann man noch auf Ägypten hoffen. Denn, wie wir alle wissen, neigen die Araber zu manch überhitzten Reaktionen. Vielleicht brennen da doch noch ein paar deutsche Fahnen vor laufenden Kameras in Kairo oder Alexandria. Schon kurz nach dem Mord an Marwa S. hatten schließlich bereits sogenannte Islam-Experten in der Bildzeitung orakelt: "Wir dürfen den Zorn der ägyptischen Straße nicht unterschätzen – beim nächsten Freitagsgebt geht es los." Am Ende ist nichts nennenswertes vorgefallen.

Schade. Eine erneute Krise, ähnlich des dänischen Karikaturenstreits, hätte so schön ins Bild gepasst. Denn dann hätten wir wieder über die muslimische Täter reden können und nicht über Rassismus und Islamphobie in Deutschland und deren erstes muslimisches Todesopfer.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.