Kommentar Nichtwähler in Berlin: Der Stamm der Abgehängten

Zwei von zehn Berlinern leben von Stütze. Und die Politiker der Stadt schauen weg, findet Guido Ambrosino. Er fordert: Augen auf - auch in den Problemvierteln.

Mit fast 40 Prozent sind die Nichtwähler die mit Abstand stärkste Partei in Berlin geworden. Sie überholen die SPD um 11,5 Punkte. Diesmal ist es etwas besser als vor vier Jahren gegangen, als nur 58 Prozent den Weg zur Wahlkabine gefunden haben, und das ist sicher auch ein Verdienst der Piratenpartei, die dank ihres libertären Anti-Establishment-Angebots ungefähr 23.000 Stimmen aus dem Becken der Nichtwähler gefischt hat. Aber das Gros ist wie üblich zu Hause geblieben.

Anscheinend haben sich auch die politischen Kommentatoren an diese chronisch hohe Enthaltungsrate gewöhnt - in den Zeitungen ist kaum etwas darüber zu lesen. Es kann wohl sein, dass auch saturierte Menschen nicht wählen. Aber die Nichtwähler, die ich kenne, gehören zum Stamm der Abgehängten.

Berlin hat die Deindustrialisierung der 1990er Jahre noch nicht überwunden, als eine ganze Generation von Arbeitern - und unter ihnen viele niedrigqualifizierte Ausländer - aus dem wirtschaftlichen Leben der Stadt ausgeschlossen wurden. In Osten sind die Fabriken von den Privatisierern liquidiert worden, aus dem Westen sind sie nach dem Ende der Subventionen weggezogen. Deswegen leben heute zwei von zehn Berlinern von Stütze.

Die italienischen Touristen, die in ihren paar Tagen Berlin nur durch Mitte ziehen, bekommen den Eindruck einer reichen Stadt, voll neuer Gebäude in einer Dichte, die in keiner italienischen Stadt auch nur annähernd anzutreffen ist. In die Randbezirke, wo das Elend sich sammelt, verirren sie sich kaum. Anscheinend geht es auch den Stadtpolitikern ähnlich. Anders ist nicht zu erklären, warum die rot-rote Koalition in zehn Jahren kaum etwas an diesen Zuständen geändert hat. Sie dürfte auch deswegen abgewählt worden sein.

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