Kommentar Organspendeskandal: Der Wert der Solidarität

Das Vertrauen in die Transplantationsmedizin ist futsch. Schuld daran ist aber nicht das Fehlverhalten einzelner Ärzte. Sondern das Versagen des Gesetzgebers.

Wer bekommt ein Organ, wer nicht? Über die Vergaberegeln muss der Gesetzgeber entscheiden. Bild: dpa

Zu Recht haben die Menschen im Land kein Vertrauen mehr in ein System, das von falschem Wettbewerbsdenken und ärztlicher Hybris geprägt ist. Nach der manipulierten Vergabe von Spenderorganen an mehreren Universitätskliniken zweifeln sie an jener Frage, die zentral ist für jede altruistische Entscheidung: der Frage nach der Gerechtigkeit.

Mit der Uniklinik Münster ist nun ein weiteres Transplantationszentrum in den Kreis der systematischen Betrüger gerückt. Und was machen der Bundesgesundheitsminister, der Präsident der Bundesärztekammer und die anderen Akteure des selbst verwalteten Gesundheitswesens? Sie reden das Problem weiter klein. Dank ihrer Minireformen – ein bisschen Mehraugenprinzip, ein wenig Register, dazu ein leicht verschärftes Transplantationsgesetz – werde die Welt der Organe ja schnell wieder gesund.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Politik begreift nicht, dass der Krise in der Organspende mehr als nur Fehlverhalten Einzelner und Ressourcenknappheit zugrunde liegen. Die Krise ist strukturell. Denn die brutale Frage, wer ein Organ erhält und wer nicht, kann im Rechtsstaat nur eine Institution beantworten: der Gesetzgeber. Das Parlament aber weicht aus. Es etikettiert die Gerechtigkeits- zur medizinischen Frage um und überantwortet sie feige der Bundesärztekammer.

Der fehlt nun jede demokratische Legitimation, und das rächt sich: Die Richtlinien der Ärzte sind intransparent und vermutlich kaum juristisch belastbar. Wer diese Zustände ändern will, der muss – so berechtigt Strafverfahren im Einzelfall sind – zuerst eine gesellschaftliche Debatte führen. Darüber, was uns die Solidarität mit Kranken wert ist.

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Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

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