Kommentar Pflegekräftemangel: Eine ehrliche Diskussion, bitte!

Das Pflegepersonal ist knapp – die Nachricht ist nicht neu und auch die Reaktionen sind es nicht. Empörung reicht nicht mehr, es braucht Geld und Taten.

Jemand hilft einer älteren Person beim Trinken

Die Pflegekasse muss mehr bezahlen Foto: dpa

Wer Angehörige hat, die im ­Pflegeheim sind oder selbst dort lebt, auf den wirkt die Empörung über den Personalmangel wie ein abgedroschenes Ritual. Empörung, Appelle, Nichtstun – so läuft es ab. Die Wahrheit aber lautet: Wir brauchen eine ehrliche Diskussion. Entweder es muss mehr, sehr viel mehr Personal in Heimen und auch in Krankenhäusern beschäftigt werden und das kostet und dieses Geld müssen Beitragszahler, Steuerzahler und Angehörige aufbringen. Oder es bleibt alles beim Alten.

Dazu der Klassiker aus dem Seniorenheim: Die alte Dame ist dement, wacklig auf den Beinen und sturzgefährdet. Aber sie will immerzu laufen, sich bewegen, sie bringt sich selbst damit in Gefahr. Es ist nicht möglich, ihr dauerhaft eine Pflegekraft an die Seite zu stellen. Was tun? Sie ruhigstellen mit Medikamenten, ins Bett verfrachten, Gitter hoch? Die Angehörigen würden sich beschweren, durchaus zu Recht. Soll man die Dame laufenlassen, das Sturzrisiko in Kauf nehmen? Auch hier kommt der Protest der Angehörigen. Also Personalaufstockung?

Das kostete aber mehr, mehr Personal müsste eingestellt werden, der Eigenanteil der Angehörigen für das Heim würde steigen und die Kosten für die Sozialämter. Die Pflegekasse müsste mehr bezahlen, der Pflegebeitrag würde angehoben. Wer Selbstbestimmung wollte, müsste die alte Dame dennoch ab und an auch allein laufen lassen und das Sturzrisiko akzeptieren.

Man ahnt schon, wie heikel eine ehrliche Diskussion über die Versorgung einer alternden Gesellschaft ist. Schließlich geht es um höhere Beiträge für die Mittelschicht, um mehr öffentliche Ausgaben, aber auch um eine Akzeptanz des körperlichen und geistigen Abbaus und um einen Kompromiss aus beidem. Beides ist unangenehm, damit gewinnt man keine Wahl. Da hofft man lieber insgeheim, dass es einen selbst und die Angehörigen nicht trifft oder genug privates Geld da ist für eine ausländische private Betreuungskraft. Offener und ehrlicher wäre besser.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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