Kommentar Proteste in Spanien: Endlich Luft

Dank der Proteste der Jugend wird in Spanien wieder über Politik geredet. Verbote von Demonstrationen werden da gar nichts nützen.

Es ist, als wäre eine tonnenschwere Steinplatte von Spanien genommen worden. Noch vor einer Woche sprach niemand über Politik, nicht einmal die Politiker. Die beiden großen Parteien machten sich im Wahlkampf absurde Vorwürfe und redeten über alles, nur nicht über das, was die Menschen bewegt: die hohe Arbeitslosigkeit, den Abbau des Sozialstaates bei gleichzeitiger Unterstützung der Banken.

Der sozialistische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero ging in seinem Zynismus so weit, all diejenigen als "üble Lügner" zu beschimpfen, die ihm Sozialkürzungen vorwarfen. Siegesgewiss gab sich die konservative Opposition. Die Kommunal- und Regionalwahlen am kommenden Sonntag seien der Anfang einer Wende. Wohin, darüber schweigt sich Spaniens Rechte aus. Dass es nicht besser wird, weiß jeder. Die Spanier schienen sich damit abgefunden zu haben.

Das suggerierten zumindest die glücklichen Wähler beider Seiten, die im Fernsehen gezeigt wurden. Jetzt schauen die Menschen auf ganz andere Bilder. Dank der Bewegung der "Empörten", wie sich die Jugendlichen nennen, die in den meisten großen Städten Plätze besetzt haben, wird wieder über Politik geredet, aber nicht über Politiker. Die sind in den Umfragewerten am Tiefpunkt ihrer Glaubwürdigkeit angelangt.

Wer glaubt, die Versammelten mit einem Verbot und der Androhung eines Polizeieinsatzes einschüchtern zu können, irrt. Nach der Räumung von ein paar hundert Protestierenden in Madrid Montagnacht kamen 10.000. Nach dem ersten Verbot durch die regionale Wahlkommission 15.000, in Erwartung des Spruchs der nationalen Wahlkommission 20.000. Die breite Unzufriedenheit über die Art der Krisenbewältigung, die Korruption und das Wahlsystem hat ein Ventil gefunden. Ohne tiefgreifende Veränderungen wird Spaniens politisches System weiter in Misskredit geraten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.