Kommentar Proteste in der Türkei: In der Macheten-Demokratie

Mit Knüppel und Macheten gegen Demonstranten: Wenn Reizgas nicht mehr hilft, hilft vielleicht die Erinnerung an die Zustände der siebziger Jahre.

Die türkische Polizei hat ihren zwischenzeitlichen Mangel an Reizgas behoben. Am Samstag ging sie wieder mit Gas, Gummigeschossen und Wasserwerfen gegen Demonstranten vor. Zunächst hatten Frauen auf dem Taksim-Platz gegen sexuelle Übergriffe im Polizeigewahrsam protestiert. Im Anschluss daran versuchten tausende Menschen, auf den seit der Räumung am 16. Juni gesperrten Gezi-Park zu gelangen. Viele hielte eine Kopie eines Gerichtsurteils in die Luft, das die Abriegelung des Parks durch die Polizei für rechtswidrig erklärt.

Das am meisten diskutierte Thema des Wochenendes aber waren nicht Rechtsbeugung und Polizeigewalt. Daran hat man sich gewöhnt. Für den größten Gesprächsstoff sorgte vielmehr ein //www.youtube.com/watch?v=RmhEysq2g7o:Youtube-Video, das im Viertel Talimhane aufgenommen wurde, kurz nachdem die Polizei die Menge auf dem Taksim-Platz zerstreut hatte. Darin zu sehen: Eine mit Knüppeln bewaffnete Gruppe von Männern, die von der Polizei ungehindert Demonstranten angreift. Einer aus dieser Gruppe hat eine Machete in der Hand und tritt einer Frau in den Rücken.

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Inszeniert war diese Szene vermutlich nicht. Es sind aber Bilder, die der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gelegen kommen dürften. Schon am Tag nach der Räumung des Gezi-Parks war eine Gruppe von 100 bis 200 Männern aufgetaucht. Sie kam sie aus Kasimpasa, einem nur wenige Kilometer vom Taksim-Platz entfernten Viertel, in dem Erdogan aufgewachsen ist, und //:machte mit Knüppeln und Messern Jagd auf Demonstranten. Die umstehenden Polizisten ließen sie gewähren; die Bilder davon zeigten am Abend alle Fernsehsender, auch jene, die zu Beginn der Proteste noch Pinguin-Dokumentationen ausstrahlten, während CNN International live vom Taksim-Platz berichtete.

Die Botschaft solcher Bilder ist eindeutig: Es ist die Drohung mit dem Bürgerkrieg. Wenn schon Polizeiknüppel, Wasserwerfer und Unmengen von Reizgas die Leute nicht einschüchtern, dann hilft vielleicht die Erinnerung an die bürgerkriegsähnlichen Zustände der späten siebziger Jahre.

Damals bekämpften sich im ganzen Land militante linke und rechte Gruppen, auch staatliche Kräfte trugen zur Eskalation der Gewalt bei. Dass etwa der Taksim-Platz für die türkische Linke bis heute ein fast mythischer Ort ist, hängt nicht zuletzt mit einem Ereignis aus jener Zeit zusammen: dem 1. Mai 1977. Damals eröffneten Unbekannte das Feuer auf eine Kundgebung von einer halben Million Menschen. 34 Teilnehmer starben, der damalige Ministerpräsident Bülent Ecevit machte die „Konterguerilla“ verantwortlich, Täter und Auftraggeber wurden nie ermittelt.

Eine Regierung, die solche Bilder zulässt oder gar inszeniert, spielt mit der Erinnerung an jene Tage, die erst mit dem ebenfalls blutigen Militärputsch vom 12. September 1980 beendet wurden. Schon zu Beginn der Proteste hatte Erdogan gesagt, dass er die anderen 50 Prozent der Bevölkerung nur „schwer zurückhalten“ könne. Die Demonstranten hat er mehrfach als Handlanger von Putschisten bezeichnet. Das mag ein Ausdruck von Verzweiflung sein, aber zuzutrauen ist es dieser Regierung allemal, diese Drohung noch ein bisschen deutlicher zu machen und bewaffnete Hilfstruppen auf Demonstranten loszulassen.

Zwei der Knüppelmänner vom Samstag wurden übrigens später doch noch festgenommen. Den Behörden zufolge handelte es sich dabei um Gewerbetreibende aus dem Viertel, die seit Beginn der Proteste Ende Umsatzverluste erlitten hätten. (Dass die meisten Geschäftsinhaber rund um den Taksim-Platz Grund zur Klage haben, ist sicher wahr. Allerdings stellt sich auch hier die Frage nach den Verantwortlichen. Wo die Polizei nicht eingreift, wie Anfang Juni zeitweise rund um den Taksim-Platz, schließen sich Proteste und Business nicht aus, im Gegenteil.)

Inzwischen sind die beiden Männer wieder auf freiem Fuß. Sie haben sich ja auch nichts Schlimmes zuschulden kommen lassen: Sie hatten keine Nelken auf dem Taksim-Platz abgelegt, regierungskritische Tweets versendet oder – Gott bewahre – Zelte in einem Stadtpark aufgeschlagen.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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