Kommentar Russland: Angst regiert in Moskau

Die Verhaftung von Kasparow zeigt: Der Kreml fürchtet sich noch mehr als seine Untertanen. Putin ist zum Opfer seiner eigenen Propaganda geworden.

Mit der Verhaftung Garri Kasparows in Moskau hat die Staatsmacht eine Grenze überschritten. Der Oppositionspolitiker war schon häufiger eingeschüchtert worden. Doch diesmal verurteilte ihn das Gericht zu fünf Tagen Haft in einem Eilverfahren, das elementaren Rechtsgarantien Hohn sprach. In den Augen der Weltöffentlichkeit hat sich Moskau endgültig desavouiert. Dass der Kreml dies in Kauf nimmt, lässt für die Zukunft Böses ahnen. Denn bisher war den Machthabern immerhin daran gelegen, wenigstens den Schein zu wahren und den Anspruch zu verteidigen, Teil der europäischen Zivilisation zu sein.

In Russland geht wieder die Angst um. Bürger werden im Vorfeld der Dumawahlen unter Druck gesetzt und genötigt, dem Regime Loyalität zu versichern. Von weit größerer Furcht zeugt jedoch das Verhalten des Kreml, dessen Partei auch ohne Manipulationen bei den Dumawahlen am kommenden Sonntag ein komfortables Ergebnis erzielen würde. Kasparows Oppositionsbündnis stellt für die Machthaber keine Herausforderung dar. Würde man es ignorieren, wäre sein Einfluss kaum messbar. Fazit: Der Kreml hat noch mehr Angst als seine Untertanen. Und dafür gibt es gute Gründe. Dort weiß man nämlich, dass das Bild, das die gleichgeschalteten Medien und Vasallen des Staatsapparates zeichnen, sich nicht mit der Wirklichkeit deckt. Die Machthaber sind Opfer der eigenen Propaganda geworden. Sie schätzen die Lage im Land ernster ein, als sie tatsächlich ist. Das setzt jedoch eine Dynamik in Gang, an deren Ende das System sich tatsächlich selbst demontiert.

Kasparow war der Auftakt, das Ende wird eine neue "Zeit der Wirren" sein, in denen Russland den Anschluss an die moderne Welt endgültig verliert. Der archaische Herrschaftsmechanismus, der sich wieder voll entfaltet und demnächst in der Errichtung einer Staatspartei gipfeln dürfte, ist Moskaus Abschiedsveranstaltung im Konzert der Großmächte. 300 Jahre ist Russland Europa hinterhergehechelt und hat sich gequält. Kremlchef Putin macht dem Leiden jetzt ein Ende. Es wird ungemütlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.