Kommentar SPD-Kandidaten fürs Verfassungsgericht: Folter muss tabu bleiben

Die SPD macht einen schweren Fehler, wenn sie Horst Dreier als neuen Vizepräsidenten des Verfassungsgerichts nominiert. Wer am Foltertabu nur leise zweifelt, gehört nicht nach Karlsruhe.

Ein Jurist, der das Folterverbot relativiert, darf nicht Verfassungsrichter werden. Er kann seine Meinung in Vorträgen, Kommentaren und Zeitungen äußern. Aber dort, wo die Verfassung ausgelegt und verteidigt wird, am Bundesverfassungsgericht, ist er fehl am Platz.

Es ist deshalb ein schwerer Fehler, dass die SPD Horst Dreier als neuen Vizepräsidenten des Verfassungsgerichts nominiert hat. Dreier ist zwar, anders als etwa die Professoren Brugger und Dershowitz, in der Folterfrage kein Heißsporn. Er will aber in Folterfällen den Gedanken der "rechtfertigenden Pflichtenkollision" nicht "von vornherein ausschließen". Für ihn gilt also: Folter könnte in bestimmten Extremfällen ausnahmsweise rechtmäßig sein. Dreier gehört damit einer leider wachsenden Minderheit von Juristen an, die die Menschenwürde zugunsten anderer wichtiger Werte für abwägbar hält.

Dreier mag ein brillanter Jurist sein und ansonsten sehr vernünftig, die unzweideutige Ablehnung von Folter ist aber für ein rechtsstaatliches und demokratisches Gemeinwesen so unverzichtbar wie die unmissverständliche Zurückweisung von Sklaverei, Rassismus und Geschlechterdiskriminierung. Hier kann es keine Kompromisse geben. Sollte Dreier zum Richter gewählt werden, dann kann er turnusgemäß ab 2010 als Präsident das Bundesverfassungsgericht - auch mit seinen Erwägungen zur Folter - nach außen repräsentieren. Das kann niemand wollen, dem unsere rechtsstaatliche Kultur am Herzen liegt.

Nur zum Vergleich: Der bisherige Präsident Hans-Jürgen Papier hat hier stets die richtigen Worte gefunden. "Für das Gericht und für mich persönlich gibt es nicht den Hauch eines Zweifels, dass der Schutz der Menschenwürde unverbrüchlich ist", erklärte Papier im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, "die Folter missachtet jedes Menschsein und ist deshalb eines Rechtsstaats nicht würdig."

Wenn ein Präsident des Bundesverfassungsgerichts solche Sätze nicht mehr unterschreiben kann, dann steht das Vertrauen in seine Verlässlichkeit als Hüter des Grundgesetzes auf dem Spiel. So weit darf es nicht kommen.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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