Kommentar SWC-Preis für Augstein: Wir Antisemiten

Das SWC betitelt Jakob Augstein als Antisemiten. Das Problem ist nicht der neue unsichtbare Antisemitismus, sondern die Entgrenzung des Begriffes.

Falsch argumentiert? Falsch verstanden? Jakob Augstein. Bild: dpa

Das Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles hat den linksliberalen Publizisten Jakob Augstein kürzlich auf Platz neun der gefährlichsten Antisemiten weltweit verortet, drei Plätze hinter der griechischen Nazischläger-Partei „Morgenröte“. Dieser Vorwurf ist abstrus.

Der Publizist ist ein scharfer, rationaler Kritiker der rechtsnationalen israelischen Regierung. In seinen Texten finden sich indes keine jener verhängnisvollen Vergleiche Israels mit NS-Terminologie. Solche Assoziationen wecken gerade bei deutschen Autoren den berechtigten Verdacht, hier diene volltönende Kritik an Israel dazu, durch die Hintertür einen deutschen Entlastungsdiskurs zu befördern. Doch das ist hier nicht der Fall.

Was Augstein schreibt, ist so ähnlich regelmäßig auf der Meinungsseite der liberalen israelischen Zeitung Ha’aretz zu lesen. Offenbar reichen dem Simon-Wiesenthal-Center schon zutreffende Bemerkungen über die israelische Kriegsführung, um missliebige Zeitgenossen als Judenfeinde zu rubrizieren.

Schon die Idee, Antisemitismus in der einer den Hitlisten verwandten Form des Rankings zu inszenieren, verrät einen gewissen Unernst. Dass das Wiesenthal-Center ausgerechnet Henryk M. Broder, den grumpy old man des deutsch-jüdischen Diskurses, als seriöse Quelle anführt, passt ins Bild.

Das stumpfe Schwert

Das Problem dieser Affäre ist nicht, dass es einen besonders raffinierten, bis zur Unsichtbarkeit camouflierten Antisemitismus gibt, den es zu entschlüsseln gilt. Das Problem ist ein entgrenzter Begriff von Antisemitismus, in dem alle Katzen grau sind und mit dem islamistische Judenhasser, Neonazis und liberale Leitartikler unisono zu Feinden erklärt werden. Gefährlich ist diese Inflationierung, weil der Vorwurf des Antisemitismus damit langfristig zum stumpfen Schwert wird. Wenn jeder, der die Besatzungspolitik für fatal hält, ein Antisemit ist – dann welcome to the club.

Zudem ist der Antisemitismus-Vorwurf, gerade wenn eine amerikanisch-jüdische Organisation dies zu Unrecht einem Deutschen vorhält, ein übles diskursives Foul. Anstatt sich einem rationalen argumentativen Wettbewerb zu stellen, greift das Wiesenthal-Center zur Waffe der Denunziation.

Schon die nun ventilierte Frage, ob Augstein ein Antisemit ist (vielleicht doch ein ganz kleines bisschen), hat etwas Diffamierendes. Denn an wem dieses Etikett klebt, der ist im öffentlichen Diskursgeschäft erledigt. Diese Stigmatisierung dient also auch als Warnschuss. Wer Israel kritisiert, wird mit der Antisemitismus-Schrotflinte beschossen.

Dieser Stil hat Methode. Im Mai 2012 wagte es der österreichische Verteidigungsminister Norbert Darabos, den rechtsradikalen israelischen Außenminister Lieberman „unerträglich“ und Israels Drohung, einen Präventivschlag gegen den Iran zu führen, „entbehrlich“ zu finden.

Internationale Isolation unter Netanjahu

Ein Funktionär des Jerusalemer Wiesenthal-Centers bescheinigte dem Sozialdemokraten „modernen Antisemitismus“. Das Ziel dieser Beschuldigungen ist klar: Die israelische Regierung soll moralisch imprägniert werden.

Diese Gesten der Verdammung sind hochaggressiv – aber sie verraten auch Verunsicherung und Hilflosigkeit seitens der Israel-Lobby. Unter Netanjahu ist Israel international so isoliert wie nie. Auch der Westen rückt angesichts der halsstarrigen Siedlungspolitik, leise und millimeterweise, von Jerusalem ab.

Gleichzeitig steht die liberale, zivile Substanz des nach rechts gewendeten Landes zur Disposition. Wer auf Entspannung des Konfliktes setzt, sieht sich, fast wie in der McCarthy-Ära in den USA, mit dem Vorwurf konfrontiert, das Geschäft des Feindes zu besorgen.

Auf die Dauer gesehen können zwei Entwicklungen existenzbedrohlich werden. Das globale Machtgefüge verändert sich. Die USA, Schutzmacht des jüdischen Staates, werden in den nächsten Jahrzehnten an Einfluss verlieren, Staaten wie China, Indien und Brasilien, die Israel kritisch sehen, Einfluss gewinnen.

Die Isolation Israels wird zunehmen, die Hoffnung auf stabilen Frieden mit den Palästinensern in noch weitere Ferne rücken. Auch weil Israel nur auf Stärke und die törichte Siedlungspolitik setzt. Vielleicht ist dies ein Grund, warum die Antisemitismus-Beschuldigungen aus dem Lager der Israel-Lobby zunehmend hysterisch klingen: Die Botschafter werden für die Botschaft verprügelt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

Das finden Sie gut? Bereits 5 Euro monatlich helfen, taz.de auch weiterhin frei zugänglich zu halten. Für alle.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.