Kommentar Sächsische Verhältnisse: Arbeit am Gewissen der Mitte

Unsere Gesellschaft zeigt ihre Erbärmlichkeit in ethischer Orientierungslosigkeit. Das zu ändern, ist nicht allein Aufgabe der Politik.

Kinderfüße in Sandalen an einem Zaun.

Die Schutzsuchenden sind hier. Das Abendland kann jetzt seine zivilisatorische Reife zeigen Foto: dpa

Dresden zeigt, wie es geht, ruft Lutz Bachmann jeden Montag den Pegida-Jüngern zu. Und Sachsen zeigt, wie es geht, wie Pogromstimmung geschürt wird, wie aus der Mitte des Volkes Volksterror wächst. Zuletzt das Dörfchen Clausnitz und das altehrwürdige Bautzen.

Die vielen Heimatvertriebenen, die bei uns ein menschenwürdiges Leben suchen, haben diesem so genannten christlichen Abendland die Maske vom Gesicht gezogen. Im Scheitern angesichts der Herausforderung des Flüchtlingszustroms, im Versuch der festungsartigen Abschottung gegen vermeintlich exogene Krisenherde offenbart sich die Erbärmlichkeit einer ethisch orientierungslosen Gesellschaft.

Sobald die einzig verbliebene Klammer eines mehr oder weniger üppigen materiellen Wohlstands bedroht ist, wirft das gewöhnliche Volk genau jene Werte über Bord, die es angeblich verteidigen will. Dann brennen Häuser, dann werden stammesfremde Menschen bedroht, dann brechen sich primitive Instinkte Bahn.

Sachsens christlicher Innenminister Markus Ulbig ahnt etwas und spricht von der „gesamtgesellschaftlichen Aufgabe“, diesen Hass aus den Köpfen zu vertreiben. Politiker werden das nicht schaffen. Auf die Köpfe, auf die es ankäme, haben sie keinen Einfluss mehr.

Deutliche Positionierung

Wer wie Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zwischen AfD-nahen Positionen und entschiedener Verurteilung menschenverachtender Exzesse laviert, muss sich darüber auch nicht wundern. Die AfD wiederum, zu der sich ein wachsender Teil der Haltlosen hingezogen fühlt, schweigt zum menschenverachtenden Mob.

Die Arbeit am Gewissen beginnt in der Mitte, in den „Kleinen Lebenskreisen“, wie Kurt Biedenkopf einst die eher biedermeierlichen Milieus bezeichnet hat. Kein Aufstand, aber eine deutliche Positionierung der Anständigen auch gegenüber Nachbarn und Kollegen. Zeigen, dass zumindest eine Mehrheit noch an Werte glaubt. Die gern sich empörenden Eliten tragen ebenfalls Verantwortung. Die Flüchtlingsfrage wird zum Testfall, ob von den aufklärerisch-zivilisatorischen Errungenschaften noch etwas geblieben ist, ob das alte Europa in seiner Substanz noch etwas taugt.

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Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.

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