Kommentar Schäfer-Bericht : Komplettversagen ohne Konsequenzen

Das Bild, das von den Ermittlungsbehörden gezeichnet wird, ist schockierend. Sie waren keine Sicherheits-, sondern Unsicherheitsbehörden.

Es gibt nur eine gute Nachricht im Bericht der Thüringer Expertenkommission – wenn man von einer „guten Nachricht“ im Zusammenhang mit den zehn Morden des NSU überhaupt reden will. Die drei Neonazis seien nicht von staatlichen Stellen gedeckt worden oder selbst V-Leute des Verfassungsschutzes gewesen. Entsprechende Vermutungen hätten sich nicht im Geringsten erhärten lassen können, schreibt das Gremium um den ehemaligen Bundesrichter Schäfer. Alles andere hätte die Republik an den Rand der Staatskrise gebracht.

Schockierend genug ist aber das restliche Bild, das dieser erste Bericht zu den Fehlern der Behörden im Zusammenhang mit dem NSU zeichnet. Sowohl die Thüringer Polizei als auch der Verfassungsschutz des Freistaats haben komplett versagt und dadurch nicht verhindert, dass die Neonazis vom Jahr 2000 an eine beispiellose Mordserie starten konnten.

Die Zielfahnder des Landeskriminalamts, so heißt es in dem Bericht der Schäfer-Kommission, hätten von der rechtsextremen Szene kaum eine Ahnung gehabt; die Ermittlungen im Umfeld des abgetauchten Neonazitrios seien völlig unkoordiniert gewesen, an vielversprechenden Stellen sei nur unzureichend weiterermittelt worden. Noch dramatischer erscheint das Versagen des Thüringer Verfassungsschutzes, der Ende der 90er offenbar eine außer Kontrolle geratene Chaosbehörde war. Dort gingen über V-Leute in der Neonaziszene zahlreiche brisante Hinweise ein, die darauf hindeuteten, dass das Trio im Untergrund Überfälle beging und eine rechte Terrorgruppe gründete. Der Verfassungsschutz behielt diese Informationen für sich. Das Urteil der Schäfer-Kommission: Der Geheimdienst habe „durch sein Verhalten die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bei der Suche nach dem Trio massiv beeinträchtigt“.

Die Thüringer Behörden waren keine Sicherheits-, sondern Unsicherheitsbehörden. Ihr Komplettversagen muss Konsequenzen haben, strukturell wie personell – was allerdings schwierig wird, da viele der in den 90er Jahren Verantwortlichen schon lange nicht mehr auf ihren Sesseln sitzen; auch deshalb hat es bisher im Zusammenhang mit dem NSU keinen Rücktritt gegeben. Doch in manchen Fällen scheint die Schlamperei der Beamten sogar so fahrlässig gewesen zu sein, dass sich Staatsanwälte die Vorgänge noch mal anschauen sollten.

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Jahrgang 1979. War bis 2013 in der taz zuständig für die Themen Rechtsextremismus, Terrorismus, Sicherheit und Datenschutz. Wechsel dann ins Investigativressort der Wochenzeitung „Die Zeit“.

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