Kommentar Scharia-Polizei: Der nächste Freispruch kommt

Der Prozess um die selbsternannte islamische Religionspolizei geht nun doch weiter. Eine überzeugende Lösung ist aber nicht in Sicht.

Ein Mann schaut auf eine Website, auf der die "Scharia-Polizei" zu sehen ist

Auf wen wirkt welche Uniform in welcher Art und Weise? Damit hat sich der BGH befasst Foto: dpa

Was für ein Marketing-Gag: Da kaufte der Islamist Sven Lau 2014 ein paar orangefarbene Warnwesten, schrieb „Sharia Police“ drauf – und heute redet man noch immer über die Aktion. Die Ausgaben für diese Warnwesten waren aus Sicht der Islamisten wirklich gut angelegtes Geld. Und die Gegner der Aktion haben natürlich einen großen Anteil an diesem PR-Erfolg. Ohne Strafverfolgung würde von dem rund zweistündigen Spaziergang in Wuppertal niemand mehr reden.

Aber man kann natürlich nicht nur deshalb auf Strafverfolgung verzichten, weil man keine Märtyrer schaffen und unnötige Publicity für Eiferer verhindern will. Wenn eine Straftat vorliegt, muss sie verfolgt werden. So ist das im Rechtsstaat.

Der Bundesgerichtshof hat nun immerhin die relevante Strafvorschrift – das Uniformverbot im Versammlungsgesetz – mit den Grundrechten abgewogen und eng ausgelegt. Ein uniformiertes Auftreten ist nur dann strafbar, wenn es einschüchternd wirkt. Das ist überzeugend. Kern der Demokratie ist schließlich der freie Diskurs. Hierzu gehört auch, mit unerwünschten Meinungen konfrontiert zu werden.

Auch Islamisten dürfen deshalb wie die Zeugen Jehovas für das werben, was sie für ein gottgefälliges Leben halten. Aber sie dürfen dabei niemand zwingen oder unzulässig unter Druck setzen. Strafbar kann es deshalb nur sein, wenn es nicht mehr um Positionen und Argumente, sondern um Einschüchterung und Aggression geht.

Wie reagiert die Zielgruppe?

Der BGH hat dabei richtig erkannt, dass es darauf ankommt, wie eine Uniformierung auf die Zielgruppe wirkt, die eingeschüchtert werden soll. So ist es auch bei der Scharia-Polizei, die nach eigener Aussage junge Muslime zu einem gottgefälligen Leben anhalten wollte. Hier kommt es auf diese Minderheit an und nicht auf die Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft. Entscheidend ist also, ob junge Muslime eine „Sharia Police“ für lachhaften Mummenschanz halten oder ob ihnen dabei doch etwas mulmig wird.

Soweit so überzeugend. Aber dann fängt das Schlammassel an. Wie erfahren denn die nun die zuständigen Wuppertaler Landrichter, was junge Muslime über die „Sharia Police“ denken? Sollen die Richter eine Straßenumfrage durchführen? Gibt es Sachverständige für die Empfindungen junger Muslime?

Es geht um das erste Erscheinen einer wenig martialisch auftretenden Gruppe in orangefarbenen Warnwesten.

Und selbst, wenn man ein halbwegs repräsentatives Meinungsbild erhielte, dann wird es wohl gespalten sein. Manche fühlen sich durch eine Scharia-Polizei bedrängt. Andere halten solche Gruppen für lächerlich. Genügt es schon, wenn sich eine kleine Minderheit unwohl fühlt?

So oder so wird letztlich nicht einmal eine Grundsatzentscheidung herauskommen. Denn es geht ja um individuelle Strafverfolgung im konkreten Einzelfall. Die Frage kann am Landgericht Wuppertal also nur sein, ob diese jungen Männer in dieser Aufmachung in dieser Situation auf örtliche Muslime bedrohlich gewirkt hätten. Es geht um das erste Erscheinen einer wenig martialisch auftretenden Gruppe in orangefarbenen Warnwesten.

Der Prozess wird sich dahinschleppen

Die Richter dürfen also nicht in Rechnung stellen, was gälte, wenn diese Gruppe schon oft übergriffig geworden wäre oder wenn es in jeder Stadt eine solche Scharia-Polizei gäbe. Selbst das Video mit der Botschaft „You are entering a sharia controlled zone, islamic rules enforced“, das nach der Aktion veröffentlichte wurde, war an diesem Abend ja noch nicht bekannt.

Der Strafprozess gegen die Mitglieder der Wuppertaler Gruppe wird sich also nochmal ein, zwei Jahre dahinschleppen – und am Ende wird wohl wieder ein Freispruch stehen. Wer gestern das BGH-Urteil laut beklatschte, weil es den ersten Freispruch aufgehoben hat, hat sich vielleicht zu früh gefreut.

Rechtliche Klarheit und ein deutliches Signal gäbe es wohl nur mit einem Gesetz, das das öffentliche Auftreten als vermeintliche Religionspolizei generell verbietet. Doch gäbe es dafür überhaupt Bedarf, nach einem einzige Vorfall vor vier Jahren? Es wäre ein Gesetz von ähnlicher Relevanz wie das Verbot von Burkas, die es bei uns ja auch kaum zu sehen gibt.

Letztlich diente wohl auch so ein Gesetz nicht dem Schutz von Muslimen vor Einschüchterung, sondern vor allem der Befriedigung der konservativen deutschen Mehrheitsbevölkerung.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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