Kommentar Schland und WM-Auslosung: Gruppenphase überstanden

Mexiko, Schweden und Südkorea sind solide Gegner für Deutschland in der WM-Vorrunde. Ebenso solide sind die Abgrenzungsrituale der WM-Auslosung.

Ein Mann und ein Maskottchen

Wolf „Zabivaka“ ist das offizielle Maskottchen der Fussball-Weltmeisterschaft in Russland 2018 Foto: dpa

BERLIN taz | Jogi Löw kann sich beruhigt in seinem Polsterstuhl zurücklehnen: Die Vorrunde ist machbar für Deutschland. Mexiko, Schweden und Südkorea heißen also die Gruppengegner bei der WM 2018. Gegner wie ein Familienauto: grundsolide. Fürchten muss sich die deutsche Elf nicht.

Spätestens an diesem Punkt kann man natürlich fragen, vor welchem Gegner sich diese Mannschaft überhaupt hätte fürchten sollen. Kolumbien, Uruguay, Schweiz? Deutschland hat eine solche Dominanz erreicht, dass außer Spanien eigentlich gar nichts drohte. Das hat natürlich niemanden abgehalten, im allzweijährlichen Ritual von einer Horrorgruppe (Hammergruppe, Todesgruppe …) zu sprechen.

Die deutsche Todesgruppen-Begeisterung hat ja auch schon dramaturgischen Sinn: Man kann sich nachher richtig freuen, denn es hätte ja so viel schlimmer kommen können. Auch, wenn die Alternativen in Wahrheit nur Costa Rica und Nigeria waren. Das gute deutsche Losglück wäre nichts ohne die Fallhöhe.

Deutschland wird also wohl die Vorrunde überstehen, was ja schon vorher klar war. Viel klüger sind wir nach einer Auslosung nie. Überhaupt ist dieser Tag ein ganz großes Ritual, ein bisschen wie Weihnachten, wo jeder seine Rolle spielt, und wenn es nur der dritte Hirte ist.

Kaum Kritik an WM-Vergabe an Südafrika

Am größten spielte Witali Mutko: Vor der Auslosung wütete der russische Vize-Regierungschef, der unter Verdacht steht, das staatliche Doping von oben organisiert zu haben, dass es in Russland „nie ein staatliches Dopingsystem gegeben“ habe. An Unglaubwürdigkeit und Lächerlichkeit ist das kaum zu überbieten, aber die Konsequenzen für das russische Team werden vor der Heim-WM überschaubar sein.

Genauso ritualisiert ist die Reaktion der linksliberalen Klientel, die sich jedes Mal aufs Neue über die massentaugliche Folklore-Inszenierung rund um die Auslosung/Eröffnung mokiert, weil's ja so einfach ist. Zusammen mit oberflächlicher Kritik an Russland und Fifa. Das ist mindestens genauso kleinbürgerlich wie jene, die Folklore-Gehopse beklatschen. Denn natürlich ist die WM in Russland ein großes Propagandainstrument für Putin. Aber welche WM ist kein Propagandmittel zweifelhafter Gastgeber?

Trotzdem bemängelte kaum jemand die WM-Vergabe an Südafrika, einen Staat, in dem viele Schwarze ökonomisch als Bürger zweiter Klasse leben, oder nach Brasilien, wo Ureinwohner vertrieben, Favela-Bewohner mit Polizeigewalt unterdrückt und Regenwälder zerstört werden. Die einzige nennenswerte Kritik war, dass Anwohner wegen der Stadien umgesiedelt wurden.

Hinfahren und Vorurteile abbauen

Auch Deutschland wusste 2006 eine Illusion des friedlich-patriotischen Super-Schland zu inszenieren, die nie der Realität entsprach. Und sich im Nachhinein ungut nationalistisch anfühlt. Solange Staaten für die ganze Chose bezahlen, ist Propaganda leider ihr gutes Recht. Und gekaufte Weltmeisterschaften? Die Deutschen sollten die Letzten sein, die sich darüber empören. Franz Beckenbauer könnte dazu launig kommentieren, wenn er noch kommentieren würde.

Die russische Bevölkerung hat eine WM so viel verdient wie die vorherigen Gastgeber. Vielleicht baut der eine oder andere, der zur WM nach drüben reist, ja sogar Vorurteile ab. Wünschenswert wäre es. Kritik ist unschätzbar wichtig, aber an konkreten Punkten, nicht als Ritual.

Jetzt also ist das Krippenspiel Auslosung vorbei; Jogi wird irgendwas sagen, dass es eine spannende Gruppe ist, die man keinesfalls unterschätzen dürfe, und das Leben geht weiter.

Neue Erkenntnisse? Vielleicht drei. Gary Lineker kann wirklich den ganzen Auslosungsmodus ohne Atempause vortragen. Miro Klose hat es geschafft, in vier Sätzen fünf werbende Adjektive für die WM unterzubringen (sehr schön, wunderschön, fantastisch, magisch und unglaublich), und räumt damit bestimmt demnächst groß im Scrabble ab. Und Diego Maradona machte mit quietschgelber Fliege unter lauter biederen weißen Clowns bei der Ziehung den August. Auch er fiel nicht aus der Rolle.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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