Kommentar Streit um die Rente: Volkspartei und Opferkonkurrenz

Konzepte gegen die Altersarmut sind gefragt. Doch auch die von der SPD favorisierte Lebensleistungsrente ist keine Lösung. Sie ist eine Mogelpackung.

Eine mit Altersflecken bedeckte Hand greift in eine Geldbörse.

Für Betroffene ist es bitter, wenn es im Alter auf jeden Cent ankommt. Foto: dpa

In der SPD werden sie sich nach dem nächsten Wochenende wieder fragen, warum sie keine Volkspartei mehr sind. Wenn sie das Geschimpfe nach außen (über die AfD und die wahlmüde Bevölkerung) und nach innen (über ihren Vorsitzenden im Zickzackmodus) einstellen, könnten sie auf eine einfache Antwort kommen: Weil sie einen Teil der Bevölkerung nicht mehr vertreten – all die Beschäftigten, die trotz langer Lebensarbeitszeiten im Alter auf die Grundsicherung angewiesen sind.

Mit der Absenkung des Rentenniveaus unter Rot-Grün hat sich die SPD einen Teil ihrer Stammklientel nachhaltig entfremdet, von Supermarkt-Verkäuferinnen über Leiharbeiter bis hin zu Kurierfahrern.

Der damals ebenfalls eingeführte Niedriglohnsektor bewirkte das weitere Absinken ihrer Rentenansprüche. Gleichzeitig fehlt ihnen das Geld für private Altersvorsorge. All das war der SPD bewusst, als sie in die Große Koalition eintrat.

Das deshalb im Koalitionsvertrag vereinbarte Konzept einer sogenannten Lebensleistungsrente für die Beschäftigten im Niedriglohnsektor kann die früheren Rentenkürzungen aber nicht wiedergutmachen. Sie setzt zudem das Einzahlen in eine private Altersvorsorge voraus, was auch mit Mindestlohn kaum möglich ist. Kurz: Die Lebensleistungsrente ist, im Gegensatz zur Rente mit 63, eine Mogelpackung.

Mit der Absenkung der Renten hat sich die SPD einen Teil ihrer Stammklientel entfremdet

Dennoch opponiert nun ein Teil der Union gegen das Konzept. Das zeigt erstens, dass die CDU nicht so weit sozialdemokratisiert ist, wie gern behauptet wird. Und zweitens, dass die CDU den Ernst der Lage angesichts der AfD-Erfolge nicht begriffen hat.

Sigmar Gabriel behauptet zu Recht, dass sich seit letztem Jahr ein schlimmer Satz in die Mitte der Gesellschaft frisst: „Für die (Flüchtlinge) macht ihr alles, für uns macht ihr nichts.“ Wer eine Opferkonkurrenz zwischen Flüchtlingen und hier schon länger Lebenden vermeiden will, muss ein wirksames Konzept gegen Altersarmut vorlegen. Die Lebensleistungsrente ist es nicht.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.

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