Kommentar Stuttgart 21: Amnesie 21

Stuttgart 21 wird gebaut – wie auch immer und unabhängig von den Kosten. Vor allem aber: Egal, wer die Bürger wann, wie und wie oft belogen hat.

So wie diese Uhr lässt sich auch S21 nicht zurückdrehen. Die Lügen aber bleiben. Bild: ap

Ein in der Politikwissenschaft weitgehend unerforschtes Gebiet ist das der institutionellen Amnesie. Es bezeichnet einen Vorgang, bei dem einzelne Personen über durchaus vollständige Erinnerungen verfügen, als Kollektiv organisiert allerdings unter schweren Gedächtnisverlusten leiden.

Ein Phänomen, dass sich derzeit bei der CDU in Sachen Stuttgart 21 studieren lässt: Die Partei führte einst die Formulierung der „Sollbruchstelle“ ein, als sei Stuttgart 21 ein Käsecracker: Sollten die prognostizierten Kosten für den Bahnhof auf mehr als 4,5 Milliarden Euro anwachsen, versicherte der unglückselige Ex-CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus bereits 2009, so würde man das Projekt abblasen.

Mappus sagte das als Parteichef und Ministerpräsident im Südwesten ziemlich oft, es war kein einmaliger Verplapperer – der Satz war Parteilinie, er war Teil der Story, er sollte suggerieren, dass man sehr wohl finanziell solide hantiere und weiß, wo die Notbremse ist.

Nun werden die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat dem Weiterbau von Stuttgart 21 zustimmen – obwohl der Bahnhof samt Tunnelanbindung auch offiziell mindestens 1,1 Milliarden Euro teurer wird als geplant, weitere Risiken in Höhe von 1,2 Milliarden sind ebenfalls diagnostiziert, es könnten bis zu 6,8 Milliarden Euro werden.

Nur ein kleiner Teil davon geht auf die Konflikt um den Bahnhof zurück, etwa auf die Schlichtung mit CDU-Peacekeeper Heiner Geißler oder den sogenannten Filderdialog – eine Bürgerbeteiligung bei der Flughafenanbindung – zurück. Der Rest: zu erwartende, von der Bahn totgeschwiegene Mehrkosten.

Angela Merkel will den Bahnhof trotzdem. Was die Partei vor Ort früher mal gesagt hat – egal. Die Mappus-Sprachregelung führt sie fort: "Weitere Kostenüberraschungen darf es da nicht geben“, ließ sie ihren Regierungssprecher ausrichten. Eine neue Sollbruchstelle also. Vermutlich haltbar bis zur nächsten Bundestagswahl.

Gern beruft sich die CDU übrigens auf die Volksabstimmung zur Stuttgart 21-Finanzierung des Landes, die selbst in der Stadt eine Mehrheit für das Projekt ergab. Allerdings unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Das ARD-Magazin Monitor berichtet, der Aufsichtsrat der Bahn habe bereits 2009 einer Kostensteigerung auf 4,9 Milliarden Euro zugestimmt. Das freilich hat dem Volk niemand gesagt.

Wie drückte es Bahnhofsbefürworter und SPD-Superminister in Baden-Württemberg, Nils Schmid, in einem taz-Interview nochmals aus? „Für mich ist das Votum der Bürger entscheidend. Wichtig ist aber, dass die Bürger in voller Kenntnis über die Kosten einer Fertigstellung, aber auch im vollen Bewusstsein der Kosten eines Ausstiegs entscheiden.“ Den Satz sollte auch die SPD ernst nehmen, die stets hinter dem Bahnhof stand. Falls sich dort noch jemand an irgendwas erinnert.

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Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.

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