Kommentar Stuttgart 21: Noch ist nichts geschlichtet

War es das jetzt? Nach der Schlichtung, die eigentlich keine war, hängt viel davon ab, was in der Bürgerbewegung steckt. Die Landtagswahl wird es zeigen.

Heiner Geißlers Schlichtung kann man als eklatante Niederlage für die Gegner des Bahnhofs- und Verkehrsprojekts Stuttgart 21 deuten. Das ist dann der Fall, wenn man Geißlers Schlichterspruch, ein "Plus" an Stuttgart 21 anzufügen, so versteht, dass ein großer Unsinn kleiner werden soll, indem man noch mehr Geld ausgibt, als ohnehin schon vorgesehen war.

Diese Schlichtung war keine Schlichtung und konnte keine sein. Sie war aber mehr als ein neues TV-Demokratiesimulationsformat, weil sie die Projektverantwortlichen erstmals gezwungen hat, Fakten auf einen Tisch zu legen, an dem auch Bürgerinnen und Bürger saßen. Und die mussten auch Fakten liefern. Das hat einen hochemotionalen Streit versachlicht.

Die Frage ist nun: Wars das? Das hängt weniger von den Grünen ab und mehr davon, was in dieser "neuen" Bürgerbewegung tatsächlich steckt, die nicht nur einen Tiefbahnhof verhindern will, sondern in den letzten Monaten tastend zu suchen angefangen hat: nach einer neuen Definition von Fortschritt, von politischer Partizipation, aber auch von Lebensglück.

Die Bewegung hat ihre Stärke aus der Beteiligung der bürgerlichen Mitte gewonnen. Wenn die neuen Bewegten nun Geißlers Moderation als maximalen Transparenz- und Demokratiegewinn verbuchen und von dannen ziehen, dann wars das. Dann kann die Bahn in alter Abgeschiedenheit den von Geißler angeordneten "Stresstest" machen. Und Ministerpräsident Mappus wird sich weiter möglichst konziliant verhalten, bis es Ende März für die ewige CDU-Regierung doch ein weiteres Mal reicht. Und am Bahnhof und um den Bahnhof herum kann alles weiter seinen Gang gehen.

Wollen Gegner und Bürgergesellschaft sich damit nicht zufriedengeben, dann müssen sie den "Stresstest" als Fortsetzung der Schlichtung sehen und die Kraft haben, auch dort mit am Tisch zu sitzen, um zu prüfen, ob die bisher fehlende Leistungsfähigkeit und überschaubare Kosten nun tatsächlich erbracht werden können.

Und sie müssten Kanzlerin Merkels Angebot weiter ernst nehmen, bei der Landtagswahl über Stuttgart 21 abzustimmen. Bei den Demonstrationen an den nächsten beiden Samstagen wird sich erweisen, ob die Stuttgarter Revolte eine Episode war oder ob die Gesellschaft tatsächlich Kraft für Veränderungen aufbringen will.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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