Kommentar Tod nach Haft in Kleve: Immer neues Grauen

Monatelang hatte ein 26-Jähriger Syrer widerrechtlich in Haft gesessen. Nach seinem Tod treten jetzt Schlamperei und struktureller Rassismus zutage.

Rote Backsteinmauern

Mauern Polizei und Justiz im Fall des widerrechtlich inhaftierten und verstorbenen Syrers Ahmed A.? Foto: dpa

Ein junger Mensch ist tot. In Deutschland hat Amed A. Schutz gesucht. Doch unter Obhut der Bundesrepublik wurde der 26-jährige Bürgerkriegsflüchtling aus Syrien am 17. September tödlich verletzt: Bei einem Brand seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt im niederrheinischen Kleve erlitt er so schwere Verbrennungen, dass er nach einer Lungentransplantation am 29. September in der Bochumer Unfallklinik Bergmannsheil starb.

Erst nach seinem Tod wird bekannt: Amed A. saß monatelang widerrechtlich in Haft. Der Mann aus Aleppo wurde Opfer einer Verwechslung – ein von der Staatsanwaltschaft Hamburg gesuchter Mann aus Mali hatte sich einen ähnlich klingenden Tarnnamen ausgedacht, der in den Polizeicomputern gespeichert war. In Nordrhein-Westfalen versprechen zwei Landesminister, die für Inneres und Justiz zuständigen Christdemokraten Herbert Reul und Peter Biesenbach, schonungslose Aufklärung.

Was sie zutage fördern, ist struktureller Rassismus, mit dem Polizei und Justiz einen Bürgerkriegsflüchtling entmenschlicht und zu einem zu erledigenden bürokratischen Fall abgewertet haben: Erst am Mittwoch machte Justizminister Biesenbach bekannt, dass Amed A. schon bei seiner Aufnahme im Gefängnis als akut suizidgefährdet galt – in Syrien soll er gezwungen gewesen sein, zuzuschauen, wie seine inzwischen verstorbene Verlobte vergewaltigt wurde. „THC-Abhängigkeit, schädlicher Konsum von Alkohol, Persönlichkeitsstörung (Dauerdiagnose), Anpassungsstörung (…), Borderline-Persönlichkeitsstörung“ war in der ärztlichen Diagnose bei seinem Haftantritt Anfang Juli zu lesen. Eine Gefängnis-Psychologin kam am 3. September dennoch zu der Einschätzung, Amed A, sei nicht suizidgefährdet.

Überhaupt scheint die Wissenschaftlerin, wie auch ihre Vorgesetzten, Amed A. für einen Simulanten, einen nicht ernst zu nehmenden Lügner gehalten zu haben: Eine „Menge kaum nachvollziehbarer Angaben zur Person“ habe der 26-Jährige in einem Gespräch mit ihr gemacht, notierte die Psychologin: „Das Urteil betreffe ihn nicht. Er sei nie in Hamburg gewesen, schon gar nicht zu der dort angegebenen Tatzeit, da sei er noch gar nicht in Deutschland gewesen, und so weiter und sofort.“ Interessiert haben die Unschuldsbeteuerungen des jungen Syrers niemanden. Die Ermittler, die seinen Tod untersuchen, halten es für nicht unwahrscheinlich, dass er das Feuer in seiner Zelle selbst gelegt hat.

„Schwere Fehler“ bei der Polizei

War der 26-Jährige so verzweifelt, dass er keinen andere Chance sah, auf die Verwechselung, auf Inhaftierung gegen Recht und Gesetz aufmerksam zu machen? „Das er möglicherweise keinen anderen Ausweg sah, dass wir dazu beigetragen haben – das geht mir nahe“, sagt jetzt Justizminister Biesenbach. Innenminister Reul spricht von „schweren Fehlern“ seiner Polizei – und bittet die Familie des Toten um Entschuldigung. Doch auch die Politiker erwecken teils den Eindruck, die Verantwortung für das Sterben des jungen Mannes möglichst weit von sich schieben zu wollen: Der Justizminister macht immer wieder klar, dass die allererste, ursprüngliche Verwechselung nicht auf Kosten seiner Justizbeamten, sondern der Polizisten geht.

Und Reul betont, der Mann aus Syrien sei kein unbeschriebenes Blatt gewesen: Wegen des Verdacht auf Raub, Verdacht auf Bedrohung, wegen seines Drogenkonsums sei er „bereits mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten“ – und Anfang Juli sei er verhaftet worden, weil er vier Frauen an einem Baggersee sexuell belästigt habe. Völlig ohne Grund in Haft gesessen habe Amed A. nicht, will Reul damit wohl andeuten. Mit dem Rechtsstaatsprinzip hat das natürlich nichts zu tun. Wollen die beiden Minister Amed A. wenigstens nach seinem Tod Gerechtigkeit verschaffen, müssen sie vieles klären: Völlig unglaubwürdig bleibt, dass der Syrer nur die Psychologin – und das nur ein einziges Mal – auf die fatale Verwechselung hingewiesen haben soll, die ihn ins Gefängnis brachte.

Unklar bleibt, wie Polizei und Justiz es überhaupt schafften, einen Araber aus Syrien monatelang mit einem Afrikaner aus Mali zu verwechseln. Unglaublich scheint, dass Amed A. nicht ein einziges Mal nach einem Anwalt verlangt haben soll. Und unverständlich bleibt, warum zunächst Polizisten aus Kleve die ausgebrannte Gefängniszelle untersuchen durften. Für all diese Merkwürdigkeiten müssen Reul und Biesenbach schnell glaubwürdige Erklärungen bieten – oder sich nicht wundern, wenn die Opposition einen Landtags-Untersuchungsausschuss fordert.

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