Kommentar Transsexuelle in Schweden: Ermutigender Schritt vors Gericht

In Schweden klagen 142 Transsexuelle gegen den Staat, weil sie sich sterilisieren lassen mussten. Heute erschließt sich die Inhumanität dieser Praxis selbst Konservativen.

Was in den 70er Jahren ein bisschen schräg war, wurde im sozialdemokratischen Schweden gerade gemacht. Bild: imago / Chromorange

Die Nachricht von der Klage von Transsexuellen in Schweden gegen den Staat ist sowohl bemerkenswert als auch ermutigend. Es sind 142 Menschen, die in ihrem Leben einen Geschlechtswechsel im Sinne ihrer angeborenen Biologie hinter sich haben, waren mit einer rechtlichen Situation konfrontiert, der sie zuzustimmen hatten: Das Gesetz zur sexuellen Identität aus dem Jahre 1972 besagte, dass ein Geschlechtswechsel eine Sterilisation zur Folge haben muss.

Wer also nicht mehr eine Frau sein wollte, musste sich zugleich bereit erklären, auf Zeugungsfähigkeit zu verzichten. Die Bestimmung passte damals in das schwedische Verständnis vom gesunden Menschen. Sterilisationen an Behinderten oder so genannten sozial auffälligen Menschen war gesetzlich erlaubt; verhindert werden sollte, dass die Gene dieser Menschen weitergegeben werden.

Schweden, ganz in der (auch sozialdemokratisch inspirierten) Ideologie von der Konstruktion des perfekten Menschen befangen, hielt das für human. Dass jetzt Transsexuelle diese Praxis (auch ihrer Betroffenheit wegen) anklagen, ist bemerkenswert – und richtig.

Zwar gilt, dass nicht rückwirkend strafbewehrt verfolgt werden kann, was einst nicht Unrecht war. Doch so wie in Deutschland die Verfolgung Homosexueller mit dem bis 1969 gültigen Naziparagraphen 175 an und für sich eine Menschenrechtsverletzung war und bleibt, so war es die Sterilisation Transsexueller im Schweden der siebziger Jahre.

Ermutigend ist die Klage von 142 Menschen in Schweden, weil sie international bekannt wird – und tatsächlich dazu führen kann, dass der schwedische Staat ihnen die geforderten 34.000 Euro pro Person zahlen wird. Der inhumane Charakter des Sterilisationszwangs erschließt sich bis in konservative Milieus hinein auf Anhieb. Gut, dass immer mehr Transsexuelle (nicht nur in Schweden) politisch zum Thema machen, was ihnen in nicht einmal guter Absicht angetan wurde.

Gut überhaupt, dass sie ihren politischen (und rechtlichen) Ansprüche so leidenschaftlich und smart anzumelden wissen wie es einst Schwule und Lesben vermochten. Die souveräne Klage gegen die Sterilisationen wird, zumindest in europäischer Hinsicht, erst der Anfang sein.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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