Kommentar Türkei: Die Geister, die Erdogan rief

Die Sonderjustiz gegen Generäle in der Türkei droht zu einem Staat im Staate zu werden. Ministerpräsident Erdogan wehrt sich und gerät unter Druck.

Genug ist genug. Nach immer neuen Verhaftungen von Militärs, Journalisten, Geschäftsleuten und selbst engen Mitarbeitern Recep Tayyip Erdogans will der nun die Notbremse ziehen. Die Festnahmen müssten ein Ende haben, sagt der türkische Ministerpräsident – sonst werde das Land noch daran „ersticken“.

Zuletzt hatte es mehr als 60 Verhaftungen gegeben, alle im Zusammenhang mit Ermittlungen zum „kalten“, unblutigen Putsch des Militärs von 1997. Seinerzeit war der islamistische Ministerpräsident Erbakan aus dem Amt gedrängt worden.

Tatsächlich deutet Erdogan nicht zum ersten Mal an, dass ihm der Verfolgungseifer der Justiz langsam zu weit geht. Als vor einigen Monaten Ex-Generalstabschef Basbug wegen angeblicher terroristischer Aktivitäten verhaftet wurde, stellte sich der Ministerpräsident vor ihn – vergeblich.

Als dann auch noch der amtierende Geheimdienstchef und Erdogan-Vertraute Fidan ins Visier der Staatsanwälte geriet, griff der Ministerpräsident durch: Er ließ ein Gesetz verabschieden, nach dem bestimmte Staatsbedienstete nur mit seiner Genehmigung angeklagt werden dürfen.

Die Sonderjustiz, die Erdogans Regierung schuf, um mit dem Militär und dem alten, kemalistischen Establishment abzurechnen, läuft aus dem Ruder. Dahinter steckt der zunehmende Einfluss der islamischen Bewegung Fetullah Gülen. Die hat mittlerweile Schlüsselposten in Justiz und Polizei besetzt und ist, anders als Erdogan, entschlossen, sich an 90 Jahren säkularer Republik zu rächen.

Für die Regierung wird der ideologische Verfolgungseifer kontraproduktiv, die Sonderjustiz droht zu einem Staat im Staate zu werden. Jetzt wird sich zeigen, ob Erdogan die Geister, die er rief, auch wieder loswird.

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