Kommentar Ende des Gefahrengebiets: Sieg oder Niederlage?

Es ist keine gute Idee, die Polizei selbst über ihre Befugnisse entscheiden zu lassen. Denn sie neigt dazu, ihre eigenen Interessen über die der Allgemeinheit zu stellen.

Gefährliches Hamburg: Vorne das Dach der Roten Flora. Bild: dpa

Das größte Gefahrengebiet aller Zeiten wird als Lachnummer in Geschichte eingehen. Als die Hamburger Polizei vollmundig verkündete, sich in einem Gebiet mit der Einwohnerzahl einer mittleren Stadt „unbefristet“ Sonderbefugnisse einzuräumen, hätten selbst Optimisten nicht gedacht, dass sie nach gerade mal sechs Tagen den Schwanz einziehen würde.

Ist das nun eine schmachvolle Niederlage – respektive der strahlende Sieg, als den die radikale Linke ihn feiern wird? Die Behauptung der Polizei, das Gefahrengebiet habe seinen Zweck erfüllt, gehört jedenfalls in die Abteilung plumpe Propaganda. Es seien zuletzt weniger „potenzielle Gewalttäter angetroffen“ und gefährliche Gegenstände sichergestellt worden, heißt es da. Um dieser Darstellung zu folgen, muss man schon sehr auf die seherischen Qualitäten der Beamten vertrauen – und sich ihrer Einschätzung anschließen, wonach Klobürsten gefährlich sind.

Tatsächlich sind seit Ausrufung des Gefahrengebiets die Proteste nicht abgerissen. Immer wieder kam es dabei auch zu kleineren Scharmützeln. Polizei und Anwohner sind einander ein paar Tage lang gehörig auf die Nerven gegangen. Der einzige „Erfolg“ der Polizei ist, dass sie Ausschreitungen im Zaum gehalten hat – die es ohne sie nicht gegeben hätte.

Warum das Gefahrengebiet dann auf drei Gefahren-Inselchen eingedampft wird? Die Polizei hat sich in mehrerlei Hinsicht verhoben: Wohl kaum jemand hat darunter so sehr gelitten wie die Beamten selbst. Sie haben in der vergangenen Woche wieder einmal tausende Überstunden angehäuft. Das wäre wohl kaum wesentlich länger durchzuhalten gewesen. Und dann beginnt auch noch die Wirtschaft zu murren: Der Hotel- und Gaststättenverband witterte Stornierungen, die USA warnen – Schlagzeilen, die man sich im Rathaus nicht so wünscht.

Eine Gruppe von bis zu 600 Menschen ist am Donnerstagabend durch Teile des ehemaligen Gefahrengebietes im Hamburger Stadtteil St. Pauli geradelt. Laut Polizei fuhr die Gruppe rund eine halbe Stunde lang durch das Viertel. Die Aktion richtete sich möglicherweise gegen das Gefahrengebiet, das von Samstag bis Donnerstag in Teilen der Stadtgebiete St. Pauli, Altona und Sternschanze eingerichtet worden war, vermutete ein Polizeisprecher. Die Aktion sei friedlich geblieben, auch abseits davon habe es in der Nacht zum Freitag keine besonderen Vorkommnisse gegeben.

Nicht zuletzt geriet auch die Innenbehörde in die Defensive, was die Begründung angeht: Seit die Polizei ihre Darstellung des Angriffs auf die Davidwache in zentralen Punkten revidieren musste, steht sie im Verdacht, die Fakten aus taktischen Gründen frisiert zu haben. Bislang hat sie noch nicht einen einzigen Beweis dafür gebracht, dass ein konzertierter Angriff auf die Wache überhaupt stattgefunden hat. Daran zweifelt inzwischen sogar die bürgerliche Presse.

Wenn das Sechs-Tage-Gefahrengebiet etwas beweist, dann, dass es keine gute Idee ist, die Polizei über ihre eigenen Befugnisse entscheiden zu lassen: Sie neigt dazu, ihre eigenen Interessen über die der Stadt zu stellen. Das ist eine Fehlkonstruktion im Hamburger Polizeigesetz. Sie gehört dringend korrigiert. Ein guter Prüfstein für Koalitionsverhandlungen nach der nächsten Wahl.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.