Kommentar Überwachungsstaat: Proteststurm über Schweden

Schweden will alle E-Mails, Telefongespräche und Internet-Chats überwachen - wegen der Terrorgefahr und um den Geheimdienst mit Aufgaben zu versehen.

Schweden gilt als ein ruhiger und vorbildlicher Sozialstaat, in dem es nur in Kriminalromanen aufregend zugeht. Doch dieses traute Bild wird jetzt gestört. Wie aus dem Nichts sammelt sich in Schweden eine riesige Protestbewegung, die nicht nur das Ausland überrascht. Auch schwedische Politiker sind erstaunt über die Empörung, denn die Bürger erheben einen Vorwurf der Superlative: Ausgerechnet in Schweden, fürchten sie, drohe ein Überwachungsstaat wie bei Orwell.

Die Befugnisse sind in der Tat umfassend, die sich der schwedische Staat da im Namen der Terrorabwehr genehmigen will: Er könnte alle E-Mails und Telefonkontakte überwachen. Dieser Kontrollwahn ist erstaunlich, denn noch nicht einmal die konservative Regierung behauptet ernsthaft, dass sich Schweden im Fadenkreuz islamistischer Terrorgruppen befände. Die geplante Lizenz zum Datensammeln dürfte daher vor allem dazu gedacht sein, den Geheimdienst FRA mit neuen Aufgaben zu versehen. Im Kalten Krieg war er darauf spezialisiert, die Radarkontakte der Russen abzuhören, aber das ist ja nun weitgehend überflüssig. FRA-Angestellte und Ausrüstung müssen neu beschäftigt werden.

Die Logik des Militärs trifft auf eine Gesellschaft, die ihrem Staat meist sehr gelassen gegenübersteht. Mit einer Ausnahme: Gegenüber dem Militär lässt sich das Misstrauen der Schweden jederzeit wecken. Denn unvergessen ist, dass hochrangige Soldaten Nazideutschland durchaus zugetan waren. Und auch die langen Jahre der Neutralität sind nicht aufgearbeitet: Faktisch kooperierte Schweden mit der Nato gegen die Sowjetunion, aber dies wurde von der Regierung niemals zugegeben. Zudem hält sich der Verdacht, dass die Fähre "Estonia" sinken musste, weil das schwedische Militär dort eine geheimnisvolle Ladung untergebracht haben soll.

Der schwedische Massenprotest weist über das Land hinaus: Datenschutz interessiert nicht nur Minderheiten, sondern kann das Schicksal von Regierungen entscheiden. Das sollte Wolfgang Schäuble zu denken geben. Seine Überwachungspläne gehen zwar nicht so weit wie jene der schwedischen Regierung - aber auch der deutsche Innenminister geht zu weit.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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