Kommentar Unterbringung Geflüchteter: Noch schlimmer geht immer

Notunterkünfte waren mal Notbehelfe. Inzwischen gelten sie als normal. Denn es gibt noch prekärere Unterkünfte.

Helfer stellen Feldbetten auf

Helfer bauen Feldbetten in einer Notunterkunft auf Foto: dpa

Der Mensch gewöhnt sich an alles, heißt es ja. Sogar Zustände, die untragbar sind, werden mit der Zeit zur „Normalität“. Aktuell kann man das Phänomen an der Unterbringung von Geflüchteten studieren. Noch vor wenigen Jahren galten Notunterkünfte als das, was sie sind: Notbehelfe, die schnellstmöglich zu beenden sind. Heute sind Notunterkünfte „normal“ geworden, denn es gibt etwas noch Schlechteres: „besonders prekäre Notunterkünfte“.

Als solche bezeichnete die Sozialverwaltung diese Woche Immobilien mit riesigen Flächen wie Kauf-, Turn-, Fabrikhallen, in denen Hunderte Menschen nur durch Vorhänge oder Pressspanplatten voneinander getrennt leben. Im Vergleich dazu, finden die Bürokraten, bieten andere Notunterkünfte, die abschließbare Zimmer haben und eigene Sanitärräume, „ein ganz anderes Niveau der Unterbringung“. So kann man Zustände natürlich auch schönreden.

Der Vorteil: Dann muss man sich nicht so viel vornehmen. Dieses Jahr war das Ziel der Verwaltung schlicht, die „besonders prekären Notunterkünfte“ bis Jahresende zu schließen. Hat man „leider“ auch nicht geschafft – aber nächstes Jahr ganz bestimmt, wir schwören!

Das Problem: Die Menschen, die in den Notunterkünften leben, können sich nicht an diesen Zustand gewöhnen. Zahlreiche Studien haben in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass das Leben in Massenunterkünften Geflüchtete ohnehin krank macht – um wie viel schlimmer muss es für die Betroffenen sein, wenn sie in Notunterkünften oder Erstaufnahmeeinrichtungen nicht einmal kochen können. Für viele ist das in ihrem neuen Leben hier zunächst das Einzige, worüber sie autonom entscheiden können.

Doch das können Bürokraten in ihren Amtsstuben offenbar nicht nachvollziehen. Warum sonst hat das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten im Frühling/Sommer Hunderte Plätze in besseren Heimen mit Kochmöglichkeit frei gehalten, während Tausende Geflüchtete in Notunterkünften („prekären“ und „normalen“) still litten?

In der Tat könnte Schlimmeres dahinterstecken als fehlende Empathie: Die Kritik des Flüchtlingsrats, das Amt halte – zumindest bestimmte – Flüchtlingsgruppen aus Gründen der Abschreckung in schlechteren Heimen fest, ist nicht abwegig. Schließlich ist die These, Geflüchteten ginge es hierzulande viel zu gut, längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr von ganz rechts. Da kann man den Standard ruhig mal wieder absenken. Wir werden uns schon dran gewöhnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.