Kommentar: Urteilen über fremde Länder: Außenpolitik durch Richter

Die bundesdeutschen Gerichte blendeten im Piratenprozess die Verhältnisse in Somalia aus

Es ist erschreckend, mit welcher Ignoranz es sich deutsche Gerichte anmaßen, über die Verhältnisse in anderen – geografisch oder auch kulturell – weit entfernten Ländern zu urteilen. Es ist schon traurig, wenn sich ein Gericht, das sich fast zwei Jahre lang mit der Piraten-Problematik vor Somalia befasst hat, von den Verhältnissen in dem Land selbst, die ehrbare und fleißige Fischer zu Piraten werden lassen, offenbar immer noch überhaupt keine Ahnung hat.

Ähnliches war vor kurzem auch in dem Verfahren gegen den Kurden Ali Ihsan Kitay zu beobachten, der sich in Deutschland wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung – der kurdischen Arbeiterpartei PKK – verantworten musste. Die politischen Hintergründe des türkisch-kurdischen Konflikts wurden in dem Prozess komplett ausgeblendet.

Auch im Piratenprozess kam immer wieder der Hinweis der Verteidigung, dass ein notwendiger Teil der Wahrheitsfindung in Somalia liegt. Dass Gerichte dieser Aufklärungspflicht nicht nachkommen, liegt daran, dass die Justiz zunehmend ein Faktor der Außenpolitik geworden ist. Am Bosporus gilt es, den Nato-Partner Türkei nicht zu provozieren, und am Horn von Afrika, der deutschen Handelsflotte einen unbeschwerten Weg zu bahnen. Daher hätten die Piraten nicht vor ein Hamburger, sondern vor ein internationales Gericht gehört, das alle Facetten des Konflikts in der Region beleuchtet.

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Jahrgang 1956, Seit 1983 bei der taz – zuerst bei der taz.hamburg und jetzt bei der taz.nord in Hamburg. Ressorts: Polizei, Justiz, Betrieb und Gewerkschaft. Schwerpunkte: Repression, progressive Bewegungen und Widerstand gegen Gentrifizierung

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