Kommentar Vertriebenenzentrum: Die Initiatorin muss verzichten

Ein Vertriebenenzentrum kann es nur ohne Erika Steinbach geben. Mit einem Verzicht könnte sie beweisen, dass es ihr wirklich um die Sache geht.

Ob, wie Angela Merkel meint, Flucht und Vertreibung der Deutschen zu "unserer Identität" gehören, sei dahingestellt; dass dieses Leiden und die ihm vorausgehenden - durch die nationalsozialistische Besatzungs- und Vernichtungspolitik verursachten - Verbrechen zur deutschen Geschichte gehören, ist offenbar. Dass Flucht und Vertreibung zudem ein Glied in einer Kette untauglicher Versuche, Minderheitenprobleme zu beseitigen, waren, hat das 20. Jahrhundert gezeigt: Viele Genozide begannen mit ethnischen Säuberungen, nicht jede ethnische Säuberung endete in einem Genozid - die Vertreibung der Deutschen schon gar nicht.

Schon allein um der europäischen Identität und Moral willen ist es sinnvoll und dringlich, dass die schwarz-rote Bundesregierung ihre Absicht, ein angemessenes Zeichen des Gedenkens an diese Geschehnisse umzusetzen, nun endlich verwirklicht - bevor in den nächsten Monaten vor lauter Wahlkampf nicht mehr regiert wird. Die Zeichen dafür sind seit den polnischen Wahlen so günstig wie lange nicht mehr. Natürlich sollte der Bund der Vertriebenen (BdV) seiner unsäglich selbstgerechten und verlogenen Charta zum Trotz daran soweit beteiligt sein, dass jene, die selbst vertrieben wurden oder die Erinnerung daran ihren Kindern und Enkeln vermittelt haben, diese Gedenkstätte auch als die ihre annehmen können.

Ebenso selbstverständlich sollte aber auch sein, dass Erika Steinbach, deren enormer Energie es zu verdanken ist, dass der BdV und seine Gedenkaktivitäten wenigstens zum Teil aus dem Muff des Revanchismus zu einer menschenrechtlichen, universalistischen Überzeugung geführt wurden, daran nicht teilhat. Das erscheint ungerecht; gleichwohl ist unstrittig, dass Erika Steinbach in Polen und Tschechien auch bei jenen nicht vermittelbar ist, die sich kritisch mit den Vertreibungen auseinandersetzen. An Steinbachs Bereitschaft zum Verzicht auf jede Mitwirkung in den Gremien der Gedenkstätte wird sich erweisen, ob es ihr letztlich um die Sache oder doch um ihr persönliches Ansehen geht. Ob es zu der von ihr mit angeregten Gedenkstätte kommen wird oder nicht, hängt nun tatsächlich vor allem von ihr ab.

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1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“

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