Kommentar Vollzeitstellen: Verlierer sind die Arbeitnehmer

Die Zahl der Vollzeitstellen mag zunehmen – die Situation für Arbeitnehmer ist trotzdem nicht besser geworden. Unzufriedenheit und Angst wachsen nicht ohne Grund.

Deutschland bleibt, so scheint’s, Musterschüler: Im letzten Jahr ist die Zahl der unbefristeten Vollzeitstellen hierzulande gewachsen. Das ist Wasser auf die Mühlen der Politiker, die ihren europäischen Nachbarn in diesen Wochen gerne ungefragt zurufen: Reformiert eure Arbeitsmärkte so wie wir, dann wird es euch bald besser gehen.

Doch der Zuwachs an Vollzeitjobs fällt kläglich aus und macht den Abbau, der in den letzten zehn Jahren stattgefunden hat, nicht wett. Dahinter steckt ein Umbau unserer Gesellschaft: Während die Zahl der Vollzeitstellen mehr oder weniger auf dem Wert von 2001 stagniert und das Arbeitsvolumen seither auch nur wenig zugelegt hat, gibt es immer mehr Menschen, die sich in bezahlten Jobs verdingen. Arbeit wird also einfach auf mehr Schultern verteilt.

Dagegen wäre nichts einzuwenden, gäbe es nicht die – wieder einmal angewachsene – Zahl der Verlierer: Mittlerweile müssen sich fast acht Millionen Menschen ihr Leben auf befristeten Stellen, in Leiharbeit oder 400-Euro-Minijobs verdienen. Sie gehen – wie auch so mancher Vollzeitarbeiter – oft mit einem Hungerlohn nach Hause.

Das treibt den Frust: Seit Jahren wächst in Deutschland die Unzufriedenheit mit dem eigenen Job, zeigen Daten des Sozio-oekonomischen Panels. Trotzdem hat die Flexibilität, die die Hartz-IV-Reformer gerne als Allheilmittel preisen, für Arbeitnehmer sogar abgenommen: Immer weniger Menschen mit einer Stelle haben den Mut, sich eine neue zu suchen. Weil es sie nicht gibt – oder weil man lieber an der alten festhält, die neue könnte ja noch schlechter werden.

Wird also in diesen Tagen mehr Mut zu Reformen und Flexibilität auf den europäischen Arbeitsmärkten gefordert, kann man sich sicher sein, dass die Beschäftigten davon nicht profitieren werden. Es ist wohl eher der Schlachtruf, um Europa in der globalen Konkurrenz neu auszurichten: mit weniger Arbeitnehmerrechten und mehr Freiheit für die Unternehmen.

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Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften

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