Kommentar Zwangspflegeversicherung: FDP pflegt wieder nur sich selbst

Die Liberalen wollen die Zusatzzwangsversicherung einführen und verschieben die inhaltliche Reform auf unbestimmte Zeit - aus Rücksicht aufs eigene Wählerklientel.

Bis 2050 wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen verdoppeln: Mit dem Älterwerden der Gesellschaft steigt das Risiko für körperliche und vor allem geistige Gebrechen. In das kollektive Bewusstsein ist daher längst eingesickert, dass ein besserer Umgang mit dementen Menschen dringend nötig ist - und dass geschützte Menschenwürde Geld kostet. Entgegen den Ansagen der Arbeitgeber empören höhere Beiträge für die Pflegeversicherung nicht mehr per se.

Bemerkenswert ist indes, wie sehr der FDP-Bundesgesundheitsminister hinter diesen Konsens zurückfällt: Daniel Bahr hat sich - die Interessen seiner Wählerklientel fest im Blick - auf eine individuelle, kapitalgedeckte Zusatzzwangsversicherung als zweite Finanzierungssäule für die Pflegeversicherung festgelegt. Abgesehen davon, dass der Verwaltungsaufwand hierfür bald höher ist als die Einnahmen: das Geld steht nicht heute, sondern frühestens in 20 Jahren zur Verfügung. Um aber Demente besser pflegen zu können, braucht man das Geld bald. Beides zusammen - also die Pflegeleistungen zeitnah der Realität anzupassen und die Kapitaldeckung einzuführen - ist unrealistisch.

Wie die FDP aus diesem Dilemma herauskommt? Ganz einfach: Sie pocht auf die schnelle Einführung der Zusatzzwangsversicherung. Und verschiebt zugleich auf unbestimmte Zeit die inhaltliche Reform - indem sie einen Pflegebeirat, der in hundertseitigen Berichten fachlich längst alles gesagt und kalkuliert hat, mit blöden, aber zeitintensiven Nachfragen beschäftigt. Am Ende kann man dann vielleicht sogar behaupten, es sei die Schuld des Pflegebeirats, dass sich die Reform verzögere.

Inhaltlich ist seit Jahren alles zur Pflegereform gesagt. Was fehlt, ist eine Politik, die sich der Realität annimmt.

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Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

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