Kommentar europäische Finanzpolitik: Euphemismen statt Lösungen

Wolfgang Schäuble gesteht, keine Ahnung von der portugiesischen Wirtschaft zu haben. Gleichzeitig diktierte er ihr die europäische Austeritätspolitik.

Der Bundesfinanzminister und seine portugiesische Kollegin im Gespräch. Bild: dpa

Lieber Miguel,

deine Absage des „Kamingesprächs“ bei der Bertelsmann Stiftung verstehe ich (Kolumne „Zu Hause bei Fremden“). Wolfgang Schäuble und der portugiesischen Finanzministerin Maria Luís Albuquerque zuzuhören, wie sie die Erfolge ihrer Austeritätspolitik loben, während du als ihr Opfer von Portugal nach Frankfurt auswandern musstest, ist nicht lustig. Und viel mehr als den Pausenclown, der am Ende noch eine kritische Frage stellt, hättest du nicht geben können.

Aber es war dennoch ein aufschlussreicher Abend. Natürlich, das hätten wir uns denken können, gab es nicht das angekündigte „Kamingespräch“, sondern nur eine ganz normale Podiumsdiskussion. Erklärungen oder Nachfragen dazu? Fehlanzeige. Offenbar stumpft ein Publikum, dem man Verarmungsprogramme erfolgreich als „Rettungsprogramme“ verkauft hat, so ab, dass es auch Gespräche ohne Kamin für „Kamingespräche“ hält.

Aber das sind Petitessen. Interessanter waren schon die Vorschläge, die der Berater der portugiesischen Nationalbank mit dem Namen Pedro Portugal zu Beginn verkündete. Die Krise sei vorüber, sagte er, nur die Arbeitslosigkeit immer noch zu hoch. Was tun? Die EU solle künftig Niedriglohnbezieher bezuschussen, schlug er vor. Eine grandiose Idee: Erst retten die Steuerzahler in der EU-Krise die Banken, dann zahlen sie Zuschüsse zu Löhnen, aber weil gleichzeitig natürlich die Steuern für Unternehmen und Reiche sinken, um Investitionen anzulocken und Besserverdiener nicht zu vergrätzen, steigen wiederum die Staatsschulden, weshalb dann … Ach lassen wir das.

Nur sarkastisch aufgelacht hättest du bei einem der ersten Sätze Schäubles: „Ich bin kein Experte in portugiesischer Wirtschaft.“ Damit war der Abend natürlich gelaufen, viel mehr als die üblichen Standardsätze, wie den mit der Sorge um die zu hohen Arbeitskosten in Europa, waren Schäuble nicht mehr zu entlocken. Der deutsche Finanzminister, mitverantwortlich für die europäische Austeritätspolitik, weiß also zu wenig über die portugiesische Wirtschaft.

Die Wirtschaftsliberalen von heute erinnern an die letzten Marxisten. Immer ahnend, dass ihre Konzepte nicht mehr funktionieren, aber immer noch zu sehr in ihren Dogmen befangen, um Alternativen zu denken. Und mit demselben mitleidlosen Blick auf die Opfer am Rande des Weges. Schäubles Tenor war: Die nächste Generation werde es einmal besser haben. Der jetzigen, das war der Subtext, kann man leider nicht helfen.

Die Schäubles und Albuquerques wissen nicht, wie sie die Forderungen einer globalisierten Wirtschaft, ihre wirtschaftspolitischen Dogmen und den Wunsch ihrer Wähler nach einem vernünftigen Leben im Hier und Jetzt unter einen Hut bringen sollen. Und deshalb stehen sie der wachsenden Ablehnung der EU-Politik von links und rechts hilflos gegenüber. Eine Antwort auf Marine Le Pen, die AfD und Ukip haben sie nicht. Aber immerhin eine auf Syriza: Den griechischen Antrag auf neue Finanzhilfen lehnte Schäubles Finanzministerium am Donnerstag ab.

Nein, die Fahrt nach Berlin hätte für dich nicht viel gebracht – außer einer Erkenntnis: So schnell zurück nach Portugal wirst du wohl nicht können. Auf dem Podium sprachen sie wieder von den Chancen der europäischen Binnenmigration. Die euphemistischen Begriffe beherrschen sie noch immer aus dem Effeff, auch wenn ihnen alles andere entgleitet.

Herzliche Grüße

Martin Reeh

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.

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