Kommentar koffertragende Flüchtlinge: Empörung wirkt, Empörung siegt!

Sieg für den Antirassismus: Die Flüchtlinge in Schwäbisch Gmünd sind wieder ohne Trinkgeld. Das Problem ist der Mangel an kapitalistischer Ausbeutung.

Wer als armer Schlucker in ein fremdes Land kommt und bleiben darf, hat selten mehr zu erwarten als wenig Geld für harte Arbeit Bild: photocase/white-studio

Professionelle Ausländerschutzbeauftragte, die fast täglich neue „Rassismen“ entdecken, aber keinen Schimmer von Klassenverhältnissen haben, denen die eigene Empörung ein libidinöser Zeitvertreib wie Mittel zu merkantilen Zwecken ist, hatten dieser Tage einen 1-A-Grund zur Empörung: Für einen Stundenlohn von 1,05 Euro hatte die Stadtverwaltung von Schwäbisch Gmünd Asylbewerber als Gepäckträger angestellt.

Nach allerlei Empörung („Schweinerei“, „Sklaverei“) wurde die Sache wieder beendet. Die Flüchtlinge, die sich freiwillig gemeldet hatten, sind ihr Trinkgeld wieder los (und darüber offenbar nicht erfreut); der Antirassismus hat gesiegt.

Und ja, es klingt hässlich, wenn eine Stadtverwaltung Flüchtlinge als Kofferneger beschäftigt und dies als Beitrag zur „Integration“ anpreist. Der eigentliche Skandal aber sind die Verhältnisse, die Menschen dazu nötigen, für so einen Hungerlohn zu arbeiten: das „Asylbewerberleistungsgesetz“ etwa, dem zufolge Flüchtlinge anfangs nicht arbeiten und später höchstens exakt 1,05 Euro verdienen dürfen. Oder die „Residenzpflicht“, die Menschen an Käffer wie dieses Schwäbisch Gmünd kettet. Das Problem ist also nicht, dass Flüchtlinge der kapitalistischen Ausbeutung unterworfen sind, sondern dass sie davon ausgeschlossen sind.

Doch selbst ohne derlei Sondergesetze ist Einwanderung meist kein Vergnügen. Wer als armer Schlucker in ein fremdes Land kommt und bleiben darf, hat selten mehr zu erwarten als wenig Geld für harte Arbeit. (Übrigens oft genug in der Onkelökonomie, also in irgendwelchen Dönerklitschen, in denen zuweilen Zustände herrschen, die noch McDonald’s als gewerkschaftlichen Musterbetrieb erscheinen lassen.)

Am Ende ist ein bescheidener Wohlstand vielleicht, ein krummer Rücken ziemlich sicher drin. Und vielleicht haben es die Kinder ja später besser – ein Wunsch freilich, der sich hierzulande seltener erfüllt als andernorts, weil das klassische Instrument hierfür, nämlich die Bildung, in hohem Maße von der Klassenzugehörigkeit der Eltern abhängt.

Für die Karrieren anderer aber ist der Ausländerschutzbeauftragte nicht zuständig. Er muss sich um die eigene kümmern. Darum wird, jede Wette, die Sache mit den Kofferkullis bald in Anträgen für Projektgelder und Promotionsstipendien auftauchen. Denn um Jobs geht's auch in der Empörungsindustrie. Die werden zwar nicht fürstlich bezahlt. Aber doch besser als mit 1,05 Euro.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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