Kommentar von der Leyen und Plagiat: Strammstehen für Fehler

Die Plagiatsvorwürfe können Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gefährlich werden. Das kann Angela Merkel nicht ignorieren.

Ursula von der Leyen von hinten

Bald nur noch so zu sehen? Verteidigungsministerin von der Leyen. Foto: dpa

Als Ursula von der Leyen vor zwei Jahren als erste Frau das Bundesverteidigungsministerium übernahm, waren sich Unionsabgeordnete und politische Kommentatoren einig: Überlebt sie das Amt, kann sie auch Kanzlerin. Daher stellt sich jetzt, wo der Vorwurf im Raum steht, dass ihre Doktorarbeit über weite Strecken abgeschrieben ist, nicht nur die Frage, ob sie als Ministerin noch tragbar ist. Sondern auch: welche Folgen die eine oder andere Entscheidung für die nächste Bundestagswahl hätte.

Für die Regierung heißt das: Zu den Fehlern der Ministerin muss sie Stellung beziehen – und notfalls für sie einstehen. Ihr Schweigen darf nicht mit Anstand vor der bloß verdächtigten Person oder dem Respekt vor der laufenden Überprüfung der Vorwürfe verwechselt werden. Der Fall von der Leyen verlangt keine wissenschaftliche Einordnung, sondern politische Aufrichtigkeit. Von der Kanzlerin und von der Betroffenen selbst.

Machen wir uns nichts vor: Die Plagiatsvorwürfe können der zweitmächtigsten Politikerin des Landes das Amt kosten. Auch wenn sie sich in ihrer Amtsführung nichts hat zuschulden kommen lassen. Das mag absurd klingen. Es spielt aber keine Rolle. Genauso wenig, ob man ihr den Vorfall verzeiht oder nicht, ihn dumm schilt oder sich über den Zeitpunkt der Debatte ärgert.

Es ändert nichts an der Tatsache, dass ihr mutmaßliches Plagiat das Machtgefüge einer bis zum diesjährigen Flüchtlingssommer in Stein gemeißelten Merkelkratie erschüttern wird. Denn Ursula von der Leyen ist trotz ihrer Unbeliebtheit in der Partei wichtig für Merkel. Wichtig für die Anschlussfähigkeit der CDU in der gesellschaftlichen Mitte. Und: wichtig für ein liberales und gleichgeschlechtliches Deutschland.

Als Familienministerin hat von der Leyen die Vätermonate erfunden, um Anreize für moderne Geschlechterrollen in der Familie und deren Akzeptanz in der Arbeitswelt zu schaffen. Auch der gesetzliche Anspruch auf einen Kitaplatz war ihre Idee. Und selbst wenn ihre Vorstöße als Arbeitsministerin – Bildungsgutscheine, Altersarmut, Kombi-Rente – wenig ertragreich waren, sie standen für eine soziale Politik, mit der die Union unter Merkel durchaus bei angestammten SPD-Wählern landen konnte – und es auch tat.

Kein Ersatz in Sicht

Die Frage, die Merkel nun beantworten muss, ist auch: Wer soll, im Falle eines Von-der-Leyen-Rücktritts, bei der Union die weiblich-liberale Lücke füllen? Die beiden Shootingstars der CDU, Julia Klöckner und Annegret Kramp-Karrenbauer scheinen noch nicht reif für den Sprung in die Bundespolitik: Klöckner will nächstes Jahr rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin werden. Und Kramp-Karrenbauer, Ministerpräsidentin im Saarland, hat vor Kurzem die Ehe für alle mit Inzest verglichen. Da wird es schwer, mit dem Anschluss an die Mitte der Gesellschaft.

Solche Debatten waren in der vergangenen Woche, nachdem die Plagiatsjäger von VroniPlag Wiki von der Leyens Dissertation samt Fehlern dokumentiert haben, nicht zu hören. Stattdessen spekulieren Unions-Hinterbänkler und konservative Leitartikler darüber, ob die Vorwürfe gegen die Ministerin eine gezielte Kampagne gegen die Kanzlerin und deren Willkommenskultur für Flüchtlinge seien. Auch wenn die zeitgleiche Kritik an beiden diesen Verdacht zumindest plausibel macht – mehr als das ist er nicht.

Ähnlich fehl geht die Forderung der Hochschulrektorenkonferenz, eine Verjährung für die Aberkennung des Doktortitels einzuführen. Wenn schon die Hochschulen selber keinen Anlass sehen, ein klares Signal für die Ahndung schlechter wissenschaftlicher Praxis zu setzen, sollte es für die Politik umso mehr einer sein.

Schwamm-drüber-Argumente

Die politische Interpretation müsste sein: So wie auch Exbildungsministerin Annette Schavan mit dem Plagiatsnachweis über Nacht jegliche Autorität über Abertausende Promovenden und Wissenschaftler verloren hat, kann auch Ursula von der Leyen nicht mehr weisungsbefugt über die beiden Bundeswehr-Universitäten sowie deren Studierende und Professoren sein.

Da helfen auch keine bagatellisierenden Einwände, dass Mediziner es mit der wissenschaftlichen Praxis halt nicht so genau nähmen. Die Schwamm-drüber-Argumente tragen nur dazu bei, ein System zu schützen, in dem Mediziner Doktortitel aus Status- oder Profitinteressen anstreben. Ist von der Leyen konsequent, tritt sie zurück. Tut sie es nicht, muss Merkel sie fallen lassen.

Das Tragische ist: Dieser Schritt wäre ein Verlust für Merkel, die Union, die Regierung. Und für das Verteidigungsministerium. Aufräumerin von der Leyen hat die krummen Sturmgewehre ausgemustert, sich durch Verwaltungsreformen im eigenen Haus unbeliebt gemacht und der Männerdomäne Bundeswehr ein Ende gesetzt. Und sie hat die Eigenschaft, Niederlagen zu verkraften. Von der Leyen hat da etwas merkelhaft Souveränes. Das wird honoriert. Zuletzt schaffte sie es, vier Milliarden Euro in ein überflüssiges Raketenabwehrsystem zu stecken, ohne ihr politisches Kapital zu verspielen.

Ursula von der Leyen hatte das Zeug zur Kanzlerin. Nun entgleitet der Ministerin, die auf Pressekonferenzen Nachfragen verbietet, um die Hoheit über ihre Zitate nicht aus der Hand zu geben, die Kontrolle über ihre Karriere. Sie weiß es. Kanzlerin Merkel weiß es. Zeit, über die Konsequenzen zu reden.

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Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.

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