Kommentar zum Piraten-Parteitag: Ein unfassbares Eigentor

Die selbsternannte Internet-Partei hat die Chance, Vorreiter bei Online-Parteitagen zu sein, versiebt. Die Politik-Nerds lassen sich von fachlichen Eitelkeiten leiten.

Einkaufen, Geld verschieben, Nachrichten lesen, Liebhaber suchen: Fast alles lässt sich heute übers Internet erledigen. Doch die Demokratie in unserem Land ist nach wie vor offline. Warum eigentlich? Müssten wir die Potenziale des Internets für den Politikbetrieb nicht schleunigst nutzen? Wie lange wollen wir damit noch warten? Die Piraten waren angetreten, sich dieses Projekts anzunehmen. Aber leider bekommen sie es nicht hin.

Beim Bundesparteitag im bayerischen Neumarkt hatten sie die Chance, als erste Partei dieses Landes neben den traditionellen Offline-Parteitagen auch Online-Parteitage einzuführen. Ein Schritt hin zur virtuellen Demokratie, ein spannendes politisches Experiment. Verschiedenste Modelle standen zur Auswahl. Die selbsterklärte Internetpartei aber ließ im Streit um Details alle durchfallen lassen. Ein unfassbares Eigentor, pünktlich zum Start in den Bundestagswahlkampf.

Die wichtigste Richtungsentscheidung des Wochenendes kam obendrein unter chaotischen, kaum noch nachvollziehbaren Umständen zustande. Bereits verkündete Ergebnisse wurden für vorläufig erklärt, weitere Wahlgänge angesetzt. Das alles hatte nichts mit politischer Avantgarde zu tun, es war am Ende einfach peinlich. Jene Partei, die den Wählern ein „Update“ der Demokratie verspricht, demonstrierte: Sie hat selbst nicht einmal die Regeln ihrer eigenen Parteitage drauf.

ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.

Die Piraten könnten eine echte Bereicherung für den Politikbetrieb in diesem Land sein. Gerade haben sie drei sympathische, smarte Nachwuchskräfte in ihren Vorstand gewählt. Keine andere Partei hat so viel IT-Kompetenz, so viele Informatiker und Mathematiker unter ihren Mitgliedern. Doch genau dieses innovative Potenzial scheint inzwischen auch ein Problem zu sein.

Die Polit-Nerds sind in einer von fachlichen Eitelkeiten durchsetzten Debatte um Detailfragen abgetaucht, sie haben das gemeinsame Ziel aus den Augen verloren. Und wenn es dumm läuft, interessiert sich niemand mehr für die Piraten, bis sie daraus wieder auftauchen.

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Jahrgang 1974, ist Parlamentskorrespondentin der taz. Zuvor hat sie als Reporterin und Inlandsredakteurin für die Zeitung gearbeitet. Sie war Stipendiatin des Netzwerks Recherche und erhielt für ihre Recherchen über Rechtsextremismus unter anderem den Theodor-Wolff-Preis. Schwerpunkte ihrer Berichterstattung sind die Piratenpartei, die CDU und das Thema Innere Sicherheit. Autorin der Sachbücher „Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland“ und „Piratenbraut. Meine Erlebnisse in der wildesten Partei Deutschlands“.

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