Kommentar: Senat fördert Baugruppen

Nach jahrelanger Debatte entschließt sich der Senat, Baugemeinschaften zu unterstützen. Der Wiedereinstieg in die Wohnbauförderung ist radikal und überfällig.

Man mag es kaum glauben. Nach monatelangem Ringen hat der Senat tatsächlich beschlossen, Baugruppen künftig besser zu fördern. Dafür sollen nicht nur landeseigene Grundstücke bereitgestellt werden, sie werden auch zum Verkehrswert angeboten und nicht zum maximal erzielbaren Preis. Das klingt wie eine kleine buchhalterische Neueinstufung. Tatsächlich aber verbirgt sich dahinter eine genauso radikale wie überfällige Neuorientierung der Landesregierung.

Das Land Berlin will Grundstücke künftig bevorzugt an Baugemeinschaften vergeben. Das hat der Senat am Dienstag beschlossen. Die Initiative soll innerstädtisches Wohnen und neue Wohnformen gleichermaßen fördern (taz berichtete). Die Vergabe landeseigener Grundstücke soll zunächst testweise an die Erfordernisse von Gruppen angepasst werden, die in der Innenstadt gemeinschaftlich Wohneigentum errichten wollen, teilte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit. Dafür werde es eine großzügige Frist zwischen der Zuschlagerteilung und dem endgültigen Abschluss eines Kaufvertrages geben. Das soll den Gruppen die Finanzierung des Baus erleichtern. Der Liegenschaftsfonds werde kurzfristig "ein marktgerechtes Portfolio" geeigneter Grundstücke bereithalten. Die sollen zum Verkehrswert vergeben werden. "Es sollen tatsächlich die inhaltlichen Qualitäten eines Projekts den Ausschlag darüber geben, wer ein Grundstück erwirbt", sagte Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Im kommenden Jahr werde zudem eine "Beratungsstelle für generationenübergreifendes Wohnen" eingerichtet, die auch Baugemeinschaften und -genossenschaften unterstützen soll.

Zunächst einmal steigt der Senat mit seinem Beschluss wieder in die Wohnungsbauförderung ein, aus der er sich erst 2003 zu Recht verabschiedet hatte. Die Rückkehr vollzieht sich jedoch unter völlig neuen Vorzeichen. Statt auf große Investoren, die in erster Linie an Profit und Steuerabschreibungen interessiert sind, setzt der Senat nun auf kleine Gruppen, die in eigenem Interesse in die Stadt investieren.

Das klingt nach Unterstützung von Partikularinteressen - und genau darin liegt der Reiz. Denn so entstehen zwangsläufig bewohnerorientierte Neubauten, die auch die Sozialstruktur in den Kiezen stabilisieren. Zudem überweist das Land künftigen Bauherren nicht mehr die üblichen Millionen direkt aufs Konto. Stattdessen setzt es klug das größte Kapital ein, dass Berlin noch geblieben ist: Grund und Boden.

Dahinter steckt die weitreichende Erkenntnis, dass die chronisch klamme Stadt ihr größtes Kapital nicht einfach verscherbeln darf, um die Löcher im Haushalt zu stopfen. Es sollen, so verkündete der rot-rote Senat in seiner neu erworbenen Weisheit, tatsächlich die inhaltlichen Qualitäten eines Projekts den Ausschlag darüber geben, wer ein Grundstück erwirbt. Neben dem zu erzielenden Preis sollen stadtentwicklungs-, wohnungspolitische und kulturwissenschaftliche Belange berücksichtigt werden.

Die Landesregierung hat begriffen, dass sie die Stadt nicht nur notverwalten, sondern tatsächlich gestalten darf. Man mag es kaum glauben.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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