Kommunalisierung in Berlin: Stuttgart statt Preußen

Bei der Zukunft des Gas- und des Stromnetzes werfen Grüne und Linke dem Senat Geheimpolitik vor und fordern Beteiligung der Öffentlichkeit.

Herr des Verfahrens: Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) Bild: dpa

Einen zweifelhaften Deal im Verborgenen wittern die Abgeordnetenhaus-Fraktionen der Linken und Grünen bei der Entscheidung, wer in Zukunft das Gas- und das Stromnetz in Berlin betreiben darf. "Das derzeitige Gebaren des Senats gleich einer preußischen Geheimbürokratie", kritisierte der energiepolitische Sprecher der Linken, Harald Wolf, am Freitag. Berlin solle bald mehr Verantwortung für das Vorankommen der Energiewende übernehmen, deshalb müssten Öffentlichkeit und Parlament schleunigst an den Entscheidungen über die Netze beteiligt werden.

Letztere fällt der von SPD und CDU gestellte Senat, das Abgeordnetenhaus muss seine Zustimmung erteilen. Den Weg dorthin ebnen die so genannten Verfahrensbriefe: Diese versendet der für die Konzessionsvergabe verantwortliche Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für die SPD) an die Bewerber. Knackpunkt ist der zweite Verfahrensbrief, mit ihm gibt Nußbaum bekannt, wie der Senat die gesetzlich vorgegebenen Vergabekriterien - sicher, preisgünstig, verbraucherfreundlich, effizient und umweltverträglich - gewichtet. Diese Gewichtung ist die wichtigste Stellschraube des Senats in einem ansonsten hoch reglementierten Wettbewerbsverfahren. Gibt der Senat etwa vor, dass Umweltverträglichkeit und Verbraucherfreundlichkeit eine besonders starke Rolle spielen sollen, könnte dies den strikt auf Erneuerbare Energien ausgerichteten Bewerbern und dem landeseigenen Unternehmen Berlin Energie zupass kommen - so das Kalkül der Befürworter einer grünen Kommunalisierung. Das auf Hochtouren laufende Energie-Volksbegehren zeige das große öffentliche Interesse an dem Thema, sagte der Grüne Michael Schäfer: "Darum muss die Öffentlichkeit bei den Kriterien mitsprechen können."

Dafür ist es im Fall des Gasnetzes zu spät, den - bislang geheimen - Inhalt des zweiten Verfahrensbriefs hatte der Senat am 9. April festgelegt. Über die Kriterien für das Stromnetz will der Senat Anfang Oktober entscheiden. Vorher soll er mit Parlament und Bürgern diskutieren, fordern die Oppositionsfraktionen und verweisen auf das Konzessionsverfahren in Stuttgart: Dort hatte die damals noch CDU-regierte Stadt in Informationsveranstaltungen und Workshops mit Bürgern gesprochen, bevor sie die Kriterien festlegte. Das dortige Verfahren läuft und ist noch nicht entschieden.

Viele Bewerber

Der Betrieb der Netze garantiert eine solide Rendite und ist deshalb begehrt. Allein-Betreiber von Berlins Stromnetz wollen neben der landeseigenen Berlin Energie diverse Unternehmen werden: Der bisherige Betreiber Vattenfall mit seiner Tochter Stromnetz Berlin, die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin, das kommunale Unternehmen Alliander aus Holland sowie der chinesische Staatskonzern State Grid. Sie alle können sich aber auch eine "institutionalisierte öffentlich-private Partnerschaft" mit dem Land vorstellen. Für letztere Variante interessieren sich auch die Stadtwerke Schwäbisch-Hall sowie die Thüga-Gruppe, hinter der ein Netzwerk von 100 kommunalen Stadtwerken steht.

An diesem Samstag stellen sich Vertreter fast aller Bewerber beim Netzgipfel der BürgerEnergie Berlin einer öffentlichen Diskussion über ihre Ziele und Eignung. Fehlen wird das von Umweltsenator Michael Müller (SPD) verantwortete Landesunternehmen Berlin Energie, das nach dem Willen der Berliner SPD sowohl Gas- als auch Stromnetz in der Stadt übernehmen soll. Man wolle das Konzessionsverfahren nicht durch die Teilnahme an einer Veranstaltung eines Konkurrenten gefährden, heißt es aus der Senatsverwaltung.

Die Fraktionen von SPD und CDU im Abgeordnetenhaus haben vereinbart, dass das Land mindestens 51 Prozent an Berlin Energie halten soll. Das lässt Raum für Partner; dass es dabei am Ende auf Vattenfall hinausläuft, befürchten vor allem die Initiatoren des laufenden Volksbegehrens "Neue Energie für Berlin", die bisher 60.000 Unterschriften unter anderem für eine Kommunalisierung des Stromnetzes gesammelt hat. Der Senat habe offenbar nicht mitbekommen, dass in der Stadt eine bereite öffentliche Diskussion über die energiepolitische Zukunft laufe, sagte der Sprecher des Berliner Energietischs, Stefan Taschner, am Freitag. "Finanzsenator Nußbaum hat ein transparentes Vergabeverfahren versprochen, doch davon ist nichts zu merken." Grüne und Linke forderten neben Mitspracherechten für Öffentlichkeit und Parlament, auch die Vertragsentwürfe des Senats für die verschiedenen Konzessionsmodelle zu veröffentlichen, sobald diese vorlägen. Sonst drohe ein ähnliches Geheimhaltungs-Fiasko wie bei der Teilprivatisierung der Wasserbetriebe.

Zwar kann jeder den jeweils ersten Verfahrensbrief für Gas- und Stromnetz auf der Internetseite der Senatsverwaltung für Finanzen nachlesen - die Offenlegung des wichtigeren, bereits beschlossenen zweiten Gas-Briefes lässt dagegen auf sich warten. Die Veröffentlichung werde erfolgen, sagte ein Sprecher Nußbaums der taz am Freitag ohne einen Zeitpunkt zu nennen. Inwieweit der Senat die Vergabekriterien für Strom in öffentlichen Foren zu diskutieren gedenkt, wollte er nicht sagen.

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