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Kommunalwahlen in Nordrhein-WestfalenKein Protest gegen Schwarz-Rot

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Man sollte Kommunalwahlen nicht zu bundesweiten Stimmungstests stilisieren, auch nicht dramatisieren. Fünf Überlegungen zur Kommunalwahl in NRW.

Im Dauerlächelmodus: CDU-Ministerpäsident Hendrik Wüst Foto: Christoph Reichwein/dpa

E ine Kommunalwahl ist eine Kommunalwahl ist eine Kommunalwahl. Das Publikum wählt eher Personen als Parteien. Oft ist die Beteiligung geringer als bei nationalen Wahlen. Deshalb ist bei zackigen Großraumdeutungen wie „Die AfD siegt, weil die SPD zu woke geworden ist“ oder „Diese Kommunalwahl ist ein Desaster für Schwarz-Rot“ erst einmal Vorsicht angesagt.

Bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag gibt es aber ein paar Botschaften, die man entziffern kann.

Erstens: Die Wahlbeteiligung war hoch, sogar ein paar Prozentpunkte mehr als bei der Landtagswahl 2022. Es gibt eine Politisierung von rechts. Die AfD hat im nördlichen Ruhrgebiet, wo sozialer Abstieg und Armutsmigration eine toxische Mischung ergeben, neue Hochburgen. Aber die AfD liegt auch in gutbürgerlichen Gegenden jetzt bei über zehn Prozent.

Allerdings zeigt die hohe Wahlbeteiligung auch: Es gibt eine funktionierende Gegenmobilisierung. Das werden auch die Stichwahlen in Duisburg und Gelsenkirchen zeigen, wo die SPD-KandidatInnen die AfD höchstwahrscheinlich mit Unterstützung von CDU bis Linkspartei schlagen werden. Der Erfolg der AfD zeigt aber auch: Dämonisierung und Moralisierung, auf die vor allem die SPD gesetzt hat, sind unbrauchbare Mittel gegen die Rechten.

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Zweitens: Alle Jahre wieder wird das Lied vom Niedergang der Arbeiterpartei SPD in ihrer Herzkammer angestimmt. Das ist nicht ganz falsch, hat aber eine ideologische Schlagseite. Die SPD sei zu links, deshalb fern von den Arbeitern. Nun kann man mit Arbeitern (ungefähr 15 Prozent der Beschäftigten) eher keine Wahlen gewinnen. Essen, Mülheim und Gelsenkirchen wurden schon vor Jahrzehnten von der CDU regiert, weil den Stadtgesellschaften der rote Filz zu dicht war.

Die Schwäche der SPD hat langwellige, strukturelle Gründe. Die einst stabile sozialdemokratische Lebenswelt im Ruhrgebiet von AWO, Stadtverwaltung, Gewerkschaften ist schon lange in Auflösung begriffen. Der Niedergang der SPD zwischen Duisburg und Unna ist ein Echo des weit fortgeschrittenen Niedergangs der Schwerindustrie.

Hinzu kommt eine ziemlich trostlose Landespartei, die sich lange intensiv in kryptischen Personalquerelen verhakte, die mit dem Abgang von Thomas Kutschaty einen traurigen Tiefpunkt erreichten. Jetzt verwaltet ein blasses Spitzentrio die Partei. Dafür sind 22 Prozent gar nicht mal so übel.

Drittens: Dass CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst den ganzen Wahlabend sein Grinsen nicht abstellen mochte, hat gute Gründe. Die CDU ist stabil die führende Partei zwischen Aachen und Münster. Schwarz-Grün ist zeitgeistmäßig nicht gerade die angesagte Koalition, schadet aber offenbar der CDU nicht. Wüst verkörpert die mittlere Mitte, pragmatisch und smart. Er ist kein Brausekopf wie Kanzler Friedrich Merz, der seine Tage damit verbringt, donnernde Ansagen wieder zurückzunehmen und mit seinem Wackelkurs die AfD groß gemacht hat. Wüst ist die Machtoption der Union, wenn Merz scheitert.

Viertens: Die Linkspartei hat mit knapp sechs Prozent für ihre Verhältnisse sehr gut abgeschnitten, trotzdem weniger blendend als erwartet. Die Linkspartei hat (die SPD ist blass vor Neid) viele junge Aktive und viel junge WählerInnen. Aber es gibt leider nicht so viele junge WählerInnen. Und: Der Linkspartei ist es nicht gelungen, in den ärmeren Stadtvierteln im Ruhrgebiet als Protestkonkurrenz der AfD wahrgenommen zu werden.

Fünftens: Ist das jetzt das viel beschworene Warnsignal nach Berlin? Vorbote des Kollapses der Regierung, gar des politischen Systems? Fast 75 Prozent haben bei den klassischen Mitte-Parteien CDU, SPD, Grüne und FDP ihr Kreuz gemacht. Die WählerInnen haben ziemlich ähnlich wie bei der Bundestagswahl votiert. Auch wenn es unspektakulär klingt: Diese Wahl war kein wütender Protest gegen Schwarz-Rot.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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17 Kommentare

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  • Ich bin beruhigt. Der Durchmarsch der AfD ist gescheitert. Gelsenkirchen ist nicht NRW. Und Köln hat mich geradezu begeistert.

  • Analytischer Kommentar. Ich würde da aber noch ein Sechstens dahinterstellen:



    Der "Niedergang der Arbeiterpartei SPD (...) hat langwellige, strukturelle Gründe. (...) Der Niedergang der SPD (...) ist ein Echo des weit fortgeschrittenen Niedergangs der Schwerindustrie. (...) Dafür sind 22 Prozent gar nicht mal so übel."



    So weit, so richtig. Mir klingelt aber noch in einem Ohr, dass bei einer Vorwahlreportage das Durchschnittsalter der SPD Wähler als 'im hohen Rentenalter' angegeben wurde. Und da stellt sich dann schon die Frage was mit der SPD wird, wenn diese Klientel eher bald als spät wegstirbt.



    Denn ja, bei Kommunalwahlen werden eher Personen als Parteien gewählt, gerade deshalb aber sollte man die Verdreifachung der AfD nicht als Betriebsunfall oder aktuelles Stimmungstief abtun. Im Gegensatz zur Bundestagswahl haben hier Menschen ganz gezielt ihnen persönlich bekannte Stadt- und Landräte der AfD gewählt. So hat es im Osten auch begonnen und heute stehen wir hier bei 30 bis 40% flächendeckend.



    Insofern teile ich das beruhigende Echo am Ende des Kommentars dann doch nicht, denn wenn diese Wahl kein "wütender Protest" war, dann war sie, was noch schlimmer ist, ein Trendbarometer

  • "Die Linkspartei hat (die SPD ist blass vor Neid) viele junge Aktive und viel junge WählerInnen. Aber es gibt leider nicht so viele junge WählerInnen."

    Die Linkspartei hat Wähler, die es gar nicht gibt? 🤔

    Auch stark, hier wieder von der SPD als "Arbeiterpartei" zu sprechen und gleich darauf das Gegenteil zu begründen, weil es ja kaum noch Arbeiter gibt.

  • Die Linke, die SPD, Die Grünen sind die Verliere der Wahl! Ohne die Großstädte wären die nicht mal dabei! Die CDU ist mit der AFD der klare Gewinner!

  • Bei so einem Kommentar muss man sich nicht wundern, wenn auch die Parteien sich sagen: "Ach, war ja gar nicht so schlimm wie befürchtet. Da können wie doch einfach weiter.achen wie bisher"

    Und das wird garantiert dazu führen, dass spätestens 2026 Sachsen-Anhalt von Rechtsradikalen reguert wird und spätestens 2029 Rechtsradikale in der Bundesregierung sitzen und wahrdcheinlich sogar anführen.

    Wenn man das noch abwenden will, muss man sofort das Ruder radikal rumreissen. Da reicht es bei weitem nicht, Armutsmigration zu bekämofen wie Wüst meint und die Infrastruktur zu sanieren wie die SPD meint. Da muss mehr passieren, viel mehr.

  • Ausgegrünt?



    Wenn Gallionsfiguren wie Joschka Fischer, Robert Habeck und Annalena Baerbock nach einer verlorenen Wahl einfach keine Lust mehr auf Bundestag haben und sich verkriechen, dann darf es nicht wundern, wenn deren Wähler es auch tun. Ich denke der Zenit der Grünen wurde überschritten.



    Dass die AfD sich verdreifacht hat, sollte endlich ernsthaft zu einer anderen Politik der "etablierten" Parteien führen, sonst sehe ich blau.

  • Danke für den sehr ausgewogenen Kommentar. Leider passt das Ergebnis der Kommunalwahlen in Gelsenkirchen nicht so ganz ins Bild. Interessant wäre es, hierzu die Überlegungen von Klaus Dörre zu vertiefen, die dieser hier entwickelt hat:taz.de/Kommunalwah...7&s=Gelsenkirchen/

  • NRW endet nicht in Münster. Wenn schon, dann bitte "zwischen Aachen und Bielefeld."

  • Diese Wahl war für die SPD eine Klatsche, eine Vollkatastrohe allerdings war sie für die Grünen. Ich denke die Zeit der Grünen ist vorbei, sie beschränkt sich auf ihre Stammwähler, das wars.



    Die AfD war der große Gewinner, warum ?



    Ihre Wähler pauschal als Rechtsradikale zu diffamieren ist zwar einfach aber falsch. Die anderen Parteien sollten sich auf die Probleme fokussieren welche die Menschen in Deutschland umtreiben und ihre Ideologie zurückstellen. Vielleicht kann man dann die AfD kleiner machen.

    • @Filou:

      Ich gebe Ihnen Recht, wenn Sie sinngemäß konstatieren, dass die Sozialdemokratie selbst in ihrer Agonie erstaunlich gut im Einstecken ist. Die Frage ist wie lange noch.

      Ich bin kein Grünen Wähler, aber die Wählerschaft wird sich wieder ausweiten, wenn "grüne" Themen zwangsläufig wieder stärker in den Vordergrund treten.

      Punkt drei:



      Es gibt m.E. wenig Grund, die AfD Wählerschaft pauschal in Schutz zu nehmen:



      Man begäbe sich nicht auf allzu dünnes Eis - direkte Vergleichbarkeit komplett außen vor - wenn man frei nach Ebay (wer dies kauft kauft auch) persifliert:

      wer heute AfD wählt hätte in den 1930ern...

    • @Filou:

      Ihr Kommentar trifft es viel besser als der Autor.

      Wobei ich denke, dass auch die Grünen noch eine Chance hätten, wenn sie radikal umschwenken würden von wirtschaftsfreundlich zu sozial gerecht. Glauben tue ich das allerdings auch nicht.

  • Und jetzt Politik für die 85 Prozent der Demokraten/innen machen und nicht für die 15 Prozent der frustrierten Rechtsnationalen. Einfach mal die Rechtsaußen rechts liegen lassen.

    • @Aymen:

      Die rechtsnationalen rechts liegen zu lassen hat sich ja als Konzept die letzten 15 Jahre perfekt bewährt.

      Es hat dazu geführt, dass die AfD von 0,5 auf 15 - 25 % gestiegen ist. Wenn sie Wahlwerbung für die AfD machen wollen, sollte man genau das machen.

      Insbesondere Rechte influencer, die Vorfeld der AfD im außerparlamentarischen Raum sind, wollen genau das: Die weitere Ausgrenzung der AfD in jedem Bereich ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung oder Diskussion. Eben weil die Rechte davon ausgeht, dass diese Ausgrenzung die beste Wahlwerbung für die AfD ist.

      • @Kriebs:

        Das was Sie da behaupten, stimmt so einfach nicht. Die AfD ist doch gerade nie wirklich rechts liegen gelassen worden (das wäre schön gewesen), sie hat immer wieder die Möglichkeit bekommen, sich zu präsentieren, weil sie ja "demokratisch gewählt" wäre. Sei es in Talkshows oder auch in der Presse (siehe z.B. das Sommerinterview in der ARD), die Vertreter der AfD haben breiten Raum für Ihre "Meinung" bekommen. Das sie dabei oft auf schlecht vorbereitete Gegenüber gestossen sind, macht die Sache noch schlimmer. Das Gejammer und Opfer spielen gehörte übrigens von Anfang an zu der Masche der AfD. Inzwischen haben sich die Parteien der "Mitte" vorallem bei dem Thema Migration immer weiter den hetzerischen Parolen der AfD angenähert. Die AfD hat es mit Erfolg geschafft, ihre menschenverachtende Propaganda auf den sogenannten "sozialen" Medien im Dauerfeuer unter den Menschen zu verbreiten. Es ist eine Binsenweisheit, daß viele Menschen leider durch fortgesetztes Aufhetzen bei einem Thema irgendwann der Meinung sind, daß dieses Problem das Wichtigste ist. Wenn dann alle anderen Parteien ins gleiche Horn wie die AfD blasen, fühlen sich deren Wähler erst recht bestätigt.

  • Ich stimme bei fast allem zu. Es war eine Kommunalwahl. Nicht mehr und nicht weniger.



    Bei einem Punkt sehe ich das aber anders.



    Ich mag Merz überhaupt nicht. Der macht leider viele Fehler in unterschiedlichen Bereichen. Aber, Merz hat nicht die AfD stark gemacht. Man kann bescheinigen dass er es nicht geschafft hat sie wieder klein zu kriegen wie er lautstark angekündigt hat. Aber so unsympathisch er auch ist, er ist nicht dafür verantwortlich.

  • Interessanter Blick.



    Btw für den “roten Filz“ - was her, aber unvergessen - Neue Heimat/ Vietor und Genossen!



    Hans Koschnik brachte es mal so auf den •



    “Bis da - hatte ich die Hälfte meines Salär der SPD gespendet: was wäre ich ohne meine Partei! Danach - nur noch den normalen Satz“ •

  • „ Der Erfolg der AfD zeigt aber auch: Dämonisierung und Moralisierung, auf die vor allem die SPD gesetzt hat, sind unbrauchbare Mittel gegen die Rechten.“ —> Danke, dass jemand im linken Spektrum mal einsieht und sich auch deutlich so ausspricht. Der Ruf „Nazi, Nazi, Nazi, Faschist,Nazi!“ nutzt sich über die Zeit einfach ab, vor allem wenn er begrifflich auch noch ausgeweitet wird.

    Ist Björn Höcke ein Faschist? Ja. Ist Alice Weidel deswegen auch automatisch eine? Nein. Gehört sie trotzdem bekämpft? Logisch, aber eben politisch, nicht mit zuschreibenden. Wenn ich jetzt aber unterschiedliche Personen über einen Kamm schere, nutzt sich die Warnung ab.