Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen: Kein Protest gegen Schwarz-Rot
Man sollte Kommunalwahlen nicht zu bundesweiten Stimmungstests stilisieren, auch nicht dramatisieren. Fünf Überlegungen zur Kommunalwahl in NRW.
E ine Kommunalwahl ist eine Kommunalwahl ist eine Kommunalwahl. Das Publikum wählt eher Personen als Parteien. Oft ist die Beteiligung geringer als bei nationalen Wahlen. Deshalb ist bei zackigen Großraumdeutungen wie „Die AfD siegt, weil die SPD zu woke geworden ist“ oder „Diese Kommunalwahl ist ein Desaster für Schwarz-Rot“ erst einmal Vorsicht angesagt.
Bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag gibt es aber ein paar Botschaften, die man entziffern kann.
Erstens: Die Wahlbeteiligung war hoch, sogar ein paar Prozentpunkte mehr als bei der Landtagswahl 2022. Es gibt eine Politisierung von rechts. Die AfD hat im nördlichen Ruhrgebiet, wo sozialer Abstieg und Armutsmigration eine toxische Mischung ergeben, neue Hochburgen. Aber die AfD liegt auch in gutbürgerlichen Gegenden jetzt bei über zehn Prozent.
Allerdings zeigt die hohe Wahlbeteiligung auch: Es gibt eine funktionierende Gegenmobilisierung. Das werden auch die Stichwahlen in Duisburg und Gelsenkirchen zeigen, wo die SPD-KandidatInnen die AfD höchstwahrscheinlich mit Unterstützung von CDU bis Linkspartei schlagen werden. Der Erfolg der AfD zeigt aber auch: Dämonisierung und Moralisierung, auf die vor allem die SPD gesetzt hat, sind unbrauchbare Mittel gegen die Rechten.

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Zweitens: Alle Jahre wieder wird das Lied vom Niedergang der Arbeiterpartei SPD in ihrer Herzkammer angestimmt. Das ist nicht ganz falsch, hat aber eine ideologische Schlagseite. Die SPD sei zu links, deshalb fern von den Arbeitern. Nun kann man mit Arbeitern (ungefähr 15 Prozent der Beschäftigten) eher keine Wahlen gewinnen. Essen, Mülheim und Gelsenkirchen wurden schon vor Jahrzehnten von der CDU regiert, weil den Stadtgesellschaften der rote Filz zu dicht war.
Die Schwäche der SPD hat langwellige, strukturelle Gründe. Die einst stabile sozialdemokratische Lebenswelt im Ruhrgebiet von AWO, Stadtverwaltung, Gewerkschaften ist schon lange in Auflösung begriffen. Der Niedergang der SPD zwischen Duisburg und Unna ist ein Echo des weit fortgeschrittenen Niedergangs der Schwerindustrie.
Hinzu kommt eine ziemlich trostlose Landespartei, die sich lange intensiv in kryptischen Personalquerelen verhakte, die mit dem Abgang von Thomas Kutschaty einen traurigen Tiefpunkt erreichten. Jetzt verwaltet ein blasses Spitzentrio die Partei. Dafür sind 22 Prozent gar nicht mal so übel.
Drittens: Dass CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst den ganzen Wahlabend sein Grinsen nicht abstellen mochte, hat gute Gründe. Die CDU ist stabil die führende Partei zwischen Aachen und Münster. Schwarz-Grün ist zeitgeistmäßig nicht gerade die angesagte Koalition, schadet aber offenbar der CDU nicht. Wüst verkörpert die mittlere Mitte, pragmatisch und smart. Er ist kein Brausekopf wie Kanzler Friedrich Merz, der seine Tage damit verbringt, donnernde Ansagen wieder zurückzunehmen und mit seinem Wackelkurs die AfD groß gemacht hat. Wüst ist die Machtoption der Union, wenn Merz scheitert.
Viertens: Die Linkspartei hat mit knapp sechs Prozent für ihre Verhältnisse sehr gut abgeschnitten, trotzdem weniger blendend als erwartet. Die Linkspartei hat (die SPD ist blass vor Neid) viele junge Aktive und viel junge WählerInnen. Aber es gibt leider nicht so viele junge WählerInnen. Und: Der Linkspartei ist es nicht gelungen, in den ärmeren Stadtvierteln im Ruhrgebiet als Protestkonkurrenz der AfD wahrgenommen zu werden.
Fünftens: Ist das jetzt das viel beschworene Warnsignal nach Berlin? Vorbote des Kollapses der Regierung, gar des politischen Systems? Fast 75 Prozent haben bei den klassischen Mitte-Parteien CDU, SPD, Grüne und FDP ihr Kreuz gemacht. Die WählerInnen haben ziemlich ähnlich wie bei der Bundestagswahl votiert. Auch wenn es unspektakulär klingt: Diese Wahl war kein wütender Protest gegen Schwarz-Rot.
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