Komplizierte Interessenlage beim G 20: Groß, mächtig, umstritten

Was erwarten sich Regierungen wie die Russlands, Saudi-Arabiens und der Türkei vom Gipfel?

Erdogan (li.) und Putin

Der türkische Präsident zu Besuch in Sotschi Foto: reuters

Eine offene und heiße Debatte über den Gipfel gibt es in Moskau, Jiddah oder Ankara nicht. taz-Korrespondenten berichten:

Russland

Seit dem Rauswurf Moskaus 2014 aus der Gruppe der Industriestaaten G 8 sind die G 20 für Russland wichtig geworden. Im Nachhinein stellte der Kreml fest: die G8 sei ohnehin ein Klub selbstzufriedener Patriarchen.

Dennoch ist gerade die Kombination „alter und neuer Eliten in der G 20 für Russland nützlich“, meint Sergej Karaganow, Dekan der Fakultät für Weltwirtschaft an der Moskauer Hochschule für Ökonomie. Große Erwartungen setze Moskau jedoch nicht in das Hamburger Treffen.

Zurzeit sei eine Politisierung der Weltwirtschaft zu beobachten: „Ökonomie wird als Waffe eingesetzt. Russland liegt daran, dass diese Tendenz aufgehalten wird“, meint Karaganow.

Der Ökonom macht die USA und „in geringerem Maße auch Europa“ dafür verantwortlich. Beide würden sich gegen den Erfolg neuer Märkte dank Globalisierung wehren. Aber auch die Verzahnung zwischen Russland und der Europäischen Union im Energiebereich werde in den USA nicht gern gesehen, so Karaganow.

Die G 20 fällen nur selten Entscheidungen – und die sind dann nicht bindend. Als Organisation, in der sich die Teilnehmer untereinander beraten, verfüge sie gleichwohl über mehr Einflussmöglichkeiten als der UN Sicherheitsrat oder die klubähnliche Gruppe der G7, meint der Dekan der Moskauer Eliteuniversität.

Interessant dürfte in Hamburg auch ein erstes Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin werden. Klaus-Helge Donath

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Saudi-Arabien

Im Zentrum des Gipfels steht für Saudi Arabien vor allem ein geplantes Treffen zwischen dem saudischen König Salman und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Im regionalen Streit um das Golfemirat Katar werden hier zum ersten Mal zwei wichtige Gegner aufeinandertreffen. Saudi-Arabien führt die Blockade gegen Katar an, begleitet von den vereinigten Arabischen Emiraten Bahrain und Ägypten. Erdogan und die Türkei gehören zusammen mit dem Iran zu der regionalen Achse, die Katar unterstützt.

Die Türkei liefert Güter nach Katar, die aufgrund der Blockade der Golfstaaten Mangelware geworden sind. Ankara hat auch einen kleinen Militärstützpunkt in Katar eröffnet. Saudi-Arabien hat die sofortige Schließung dieser neuen Militärbasis gefordert. Genug Gesprächsstoff also für die Staatsoberhäupter der beiden Regionalmächte. In Hamburg wird möglicherweise das erste Mal versucht, diese Krise auf internationalem Parkett zu entschärfen.

Am 7. und 8. Juli wollen sich die Regierungschefs der 20 mächtigsten Industrie- und Schwellenländer in den Messehallen und in der Elbphilharmonie treffen. Darunter US-Präsident Donald Trump, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan.

Mit einer Protestwelle beginnen die G20-Demonstrationen am 2. Juli, zu denen Organisationen wie Campact, Greenpeace und DGB aufrufen. Darunter wollen sich auch militante GipfelgegnerInnen mischen.

Die Polizei erwartet in der Protestwoche Aktionen des zivilen Ungehorsams, Blockaden, Demos und Krawalle, sodass eine Gefangenensammelstelle mit 400 Plätzen in Harburg eingerichtet wird.

Der Ex-Frauenknast Hahnöfersand ist zudem als Untersuchungsgefängnis mit 100 Plätzen umgebaut worden.

Auch die saudische Agenda 2030, eng verbunden mit dem gerade letzte Woche neu ernannten Kronprinzen Mohammed bin Salman , ist für die Saudis ein großes Thema auf dem G-20-Gipfel. Ziel ist es vor allem, Saudi-Arabien unabhängiger vom Öl zu machen und möglicherweise in Zukunft auch mehr auf erneuerbare Energien zu setzen – wichtig für den Klimaschutz.

Berichte deutscher Zeitungen, nach denen die saudische Delegation im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten 150 Zimmer gemietet habe und eigene Köche mitbringe, um unter anderem zum Anlass des saudischen Gipfelbesuches 30 Lämmer zu grillen, finden den saudischen Medien keine Erwähnung. Karim El-Gawhary

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Türkei

Bis auf kurze Meldungen, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan zum G-20-Gipfel reisen wird, gibt es im Vorfeld – weder von offizieller Seite noch in den Kommentaren der großen Medien – kaum inhaltliche Stellungnahmen.

Einen Tag vor dem Gipfel wird EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn in Ankara erwartet. Davon erhofft man sich eine weitere Normalisierung der Beziehungen. Verglichen damit ist für Ankara der G-20 Gipfel eher ein zeremonielles Treffen. Man ist stolz dabei zu sein, erwartet aber nichts Besonderes.

In der Flüchtlingsfrage sieht die Türkei sich ja als eines der wenigen Länder, die ihre Pflicht erfüllen und mehr Solidarität von den anderen G-20 Ländern erwarten. Über den Klimawandel wird in Ankara noch so gut wie gar nicht gesprochen.

Tatsächlich ist Erdogan im G-20 Club ziemlich isoliert. Seine Hoffnung, engere Beziehungen zu Wladimir Putin knüpfen zu können, haben sich nicht erfüllt.

Auch Donald Trump ist für Erdogan eine Enttäuschung. Als Ergebnis seines Besuchs in Washington ist vor allem der Streit um die Prügelei seiner Leibwächter auf kurdische Demonstranten geblieben. Der US-Kongress hat das Vorgehen der Sicherheitsleute eingehend verurteilt; die US-Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Der Hamburger Polizeichef hat bereits gewarnt, die Leibwächter der anreisenden Staatschefs müssten sich in Hamburg zurückhalten, was ziemlich eindeutig auf die Türken gemünzt war. Jürgen Gottschlich

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