Konflikt im Schach: Meister ohne Größe
Weltmeister Wladimir Kramnik verunsichert mit Betrugsvorwürfen die Schachwelt. Nach dem Tod eines Großmeisters ermittelt nun der Weltverband.
Der Titel des Großmeisters ist der höchste, der im Schach vergeben wird. Er wird auch sehr selten vergeben und ist nur den besten Spieler*innen vorbehalten: im Mai 2025 gab es nur 2.157 Titelträger*innen. Auch wenn für diesen Titel bestimmte sportliche Normen erfüllt werden müssen, handelt es sich nicht um eine rein sportliche Auszeichnung: Verbunden damit sind auch Mindestanforderungen an das Verhalten abseits des Brettes.
Eine Petition fordert nun die Aberkennung des Titels von Wladimir Kramnik. Wladimir Kramnik war Weltmeister von 2000 bis 2007. Während er 2000 den Titel von Garri Kasparow erlangte, etablierte er die Grundlagen für ein Verteidigungssystem in der Spanischen Partie, das als Berliner Partie noch heute Anwendung findet.
Hintergrund der Petition ist Vladimir Kramniks Engagement, das sich seiner Ansicht nach gegen Betrug im Online-Schach richtet. Tatsächlich hat seine Methode aber das Gepräge von Kampagnen: Er greift sich einzelne Spieler heraus und wirft ihnen vor, sich von Computerprogrammen helfen zu lassen. Seine Anschuldigungen entbehren dabei jeder statistischen Grundlage und konkreten Beweise. Einige der Spieler, die derart von Wladimir Kramnik diffamiert wurden, sind Matthias Blübaum, Nihal Sarin, David Navara und Daniel Naroditsky. Über diese auf konkrete Personen gerichtete Vorwürfe hinaus postulierte Wladimir Kramnik wiederholt seine Überzeugung davon, dass es eine „Chess Mafia“ gebe, die im Hintergrund die Fäden ziehe und systematischen Betrug nicht nur nicht bekämpfte, sondern sogar dazu ermutigte.
Sowohl David Navara als auch Daniel Naroditsky versuchten in der Vergangenheit, sich öffentlich gegen die Vorwürfe zu wehren. David Navara schilderte in einem offenen Brief die hohe psychische Belastung, die die Vorwürfe mit sich brachten. Daniel Naroditsky sprach in verschiedenen Podcasts darüber, wie sehr es ihn belastete, dass sein Kindheitsheld derart seinen Ruf ruinierte.
Kritik intensiviert
Daniel Naroditsky gehörte im Bullet, der schnellsten Form im Schach, zu den Besten und war ein beliebter Streamer. Gemeinsam mit Robert Hess erneuerte er die Kommentierung großer Schachevents, indem er einen Entertainment-Faktor einbrachte, der in der traditionell eher trockenen Schachberichterstattung bisher fehlte. Nach den Vorwürfen zog sich Daniel Naroditsky die letzten Monate sukzessive aus der Öffentlichkeit zurück. Er starb am 19. Oktober 2025 im Alter von 29 Jahren.
In der Folge intensivierte sich die Kritik an Wladimir Kramniks Kampagnen. Unter anderem kritisierten die ehemaligen Weltmeister Garri Kasparow und Magnus Carlsen sowohl Vladimirs Kramnik Anschuldigungen, hunderte Top-Schachspieler*innen taten es ihnen gleich. Eine Petition, die die den Weltverband Fide auffordert, Wladimir Kramnik den Großmeistertitel abzuerkennen, weil er ethisch und moralisch den Anforderungen des Titels nicht gerecht würde, ist online. Die Petition wurde bis Sonntag fast 50.000 Mal gezeichnet.
Untersuchung angekündigt
Die Fide selbst hat am 22. Oktober angekündigt, eine förmliche Untersuchung einzuleiten. Fide-Präsident Arkadi Dworkowitsch bekundete: „In jüngster Zeit haben öffentliche Debatten innerhalb der Schachwelt zu oft die Grenzen des Annehmbaren überschritten und dabei nicht nur den Ruf einzelner Personen beschädigt, sondern auch ihr Wohlbefinden beeinträchtigt.“ Die Entscheidung über weitere Schritte liege nun bei der Ethikkommission des Verbands.
Die Fide selbst steht auch deswegen in der Kritik, weil sie betroffene Spieler nicht schützte. David Navara schildert in seinem offenen Brief, dass der Weltverband keinerlei Schritte unternahm, ihn zu unterstützen oder Wladimir Kramnik in die Schranken zu weisen; Kramnik sogar noch bestärkte, weil unter anderem Dworkowitsch weiterhin auf offiziellen Events mit ihm zusammen auftrat.
In einem Statement wies Kramnik alle Vorwürfe zurück und kündigte rechtliche Schritte an, sollte die Fide gegen ihn vorgehen.
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